Braun verlangte die Aufschiebung der Abstimmung um fünf bis zehn Jahre,
da eine freie Wahl jetzt nicht möglich sei261.
Diese These der Sozialdemokraten wurde seit Oktober 1933 in den Ver¬
sammlungen der Sozialdemokraten vertreten, und z. B. auch Dr. Sender,
der Fraktionsvorsitzende aus der Frühzeit der Kämpfe im Saargebiet, setzte
sich eifrig für sie ein262. Braun versuchte aber vor allem auf internationaler
Ebene für sein Programm Unterstützung zu finden. Am 18. Oktober ver¬
handelte er mit dem französischen Außenminister Paul Boncour in Genf,
und er gab „Le Peuple" in Brüssel ein großes Interview263. Am 6. Januar
1934 reichte die Sozialdemokratische Partei des Saargebietes eine entspre¬
chende Petition an den Rat des Völkerbundes ein264. Durch eine Fülle von
Material über den Terror im Saargebiet sollte die Grundthese erhärtet wer¬
den, daß eine freie Abstimmung vorläufig nicht möglich sei. Braun reiste
mit einer Delegation nach Genf, gab verschiedene Interviews und wurde
von vielen Ratsdelegierten und Diplomaten empfangen265. In der Denk¬
schrift hatte man auch dargelegt, wie verzweifelt das Zentrum sich gegen
die Gleichschaltung gewehrt habe und daß die Auflösung gegen den Willen
der Mehrheit der Mitglieder erfolgt sei. So sollte bewiesen werden, daß die
Aufschiebung der ''Vahl der Wunsch einer breiteren Bevölkerungsschicht sei.
Daß die Verschiebung der Abstimmung die Floffnung auch nicht sozial¬
demokratischer Kreise war, erhellt aus den bereits dargelegten Äußerungen
auf der Dechantenkonferenz am 22. Januar 1934. Eine solche Lösung hätte
eine Befreiung aus dem Dilemma bedeutet und die Aufrechterhaltung der
beiden entscheidenden politischen Einstellungen, die 1933 und 1934 an der
Saar herrschten, ermöglicht.
Die Voraussetzungen, eine Verschiebung der Wahl zu erreichen, waren aber
von vorneherein ungünstig. Braun konnte durch seine Petition nicht bewei¬
sen, daß die Mehrheit der Bevölkerung hinter ihm stehe, besonders da
gleichzeitig die Deutsche Front ihre großen Petitionen mit den gegenteiligen
Behauptungen nach Genf sandte. Audi die Erfahrungen der Anfangsjahre
widersprachen grundsätzlich einer solchen Lösung des Problems. Der Rat
und das Sekretariat des Völkerbundes hatten sich immer wieder als Aus¬
führungsorgane des Versailler Vertrages und die Saarfrage als Frage einer
guten Verwaltung betrachtet266. Der Vertrag hatte sich stets als klare
Grenze für saarländische Wünsche, die vormals von allen Parteien gemein¬
sam vertreten worden waren, erwiesen. Nun konnte kaum erwartet werden,
daß der Rat einen solchen Weg beschritt, der im Vertragstext nicht vorge¬
sehen war. Braun und die Anhänger seines Vorschlages scheinen sich aber ob
des wohlwollenden Empfanges, den man teilweise in internationalen Krei¬
261 Ebenda, außerdem A.A. II, Bes. Geb., Saargeb., Pol. Parteien, Bd. 5, e. o. II SG 2653.
262 Ebenda, in Bd. 6 u. Bd. 7 eine Reihe Berichte über die Versammlungstätigkeit.
263 Ebenda, Bd. 5: Kölnische Zeitung Nr. 569 v. 18. 10. 1933; Bd. 6: Le Peuple, Brüssel,
v. 24. 10. 1933; Le Temps, Paris, Nr. 353 v. 23. 10. 1933 und Gesandtschaftsbericht
der Deutschen Botschaft in Brüssel II SG 2724.
264 S.D.N. C. 70. M. 21. 1934. VII., J.O. XV,3 (1934), S. 325—334.
265 A. A., a. a. O., Bd. 6, II SG 728.
266 Vgl. dazu oben S. 87.
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