glieder wie ihre Wählerschaft politisch zu schulen und diese fester an sich zu
binden. Da man im Saargebiet von 1920 bis 1923 in erheblichem Maße vom
deutschen politischen Leben abgeschlossen war, mußte die saarländische Par¬
tei das aus eigenen Kräften leisten, und die Aufgabe mußte notwendig vor¬
wiegend in Auseinandersetzung mit den saarländischen Verhältnissen gelöst
werden.
Schärfster Konkurrent im Kampf um die Wählerschaft war für die Sozial¬
demokratische Partei die Zentrumspartei, für welche in dieser Auseinander¬
setzung die Kirche mit ihrem ganzen moralischen Einfluß arbeitete13. Des¬
halb wurde in der saarländischen Sozialdemokratischen Partei unaufhörlich
dargelegt, sie sei nicht religionsfeindlich, Christentum und Sozialismus seien
miteinander vereinbar, und man zitierte in den Wahlkämpfen mit Vorliebe
führende christliche Männer, die sich positiv über den Sozialismus geäußert
hatten14. In den katholischen Gebieten an der Saar behielt trotzdem die
Zugehörigkeit zu der Sozialdemokratischen Partei und weitgehend auch zu
den Freien Gewerkschaften in der öffentlichen Meinung etwas Anstößiges.
Da auch Anhänger des Sozialismus im allgemeinen ihre Bindung an die
katholische Kirche aufrecht hielten, lag in dieser Situation ein erstes ent¬
scheidendes Hemmnis für die Sozialdemokratische Partei, um über die
großen Industrieorte im Kern des Saargebiets hinaus eine feste Anhänger¬
schaft zu gewinnen.
Ein weiteres Problem trat bereits in den ersten Jahren der Parteientwicklung
in aller Deutlichkeit hervor. Teile der Arbeiterschaft neigten zunächst vor
allem deshalb zu einer Stimmabgabe für die Sozialdemokratische Partei,
weil sie in ihr die Partei der Arbeiter erblickten, von der sie erwarteten, daß
sie wirksam für ihre materiellen Belange eintrete15. Aus dem gleichen Grunde
erlebten die Freien Gewerkschaften in den ersten Jahren nach dem Weltkrieg
einen starken Mitgliederzuwachs16. Daß die Arbeiterschaft sehr oft von
materiellen Interessen geleitet wurde, zeigte sich an der Tatsache, daß die
Arbeiter in den Freien Gewerkschaften oft Anhänger der USP und der KPD
als Vertrauensmänner wählten, weil diese für die Einführung des Franken¬
lohns in den französischen Bergwerken und in der Hüttenindustrie eintraten.
So folgte man in den Freien Gewerkschaften nicht der politischen Linie der
sozialdemokratischen Parteiführer, die aus nationalen Gründen gegen die
Frankenwährung waren17. In ähnlicher Weise mußten die Freien Gewerk¬
schaften erfahren, daß der Beitritt einer großen Anzahl von Arbeitern nur
im Hinblick auf unmittelbar zu erwartende finanzielle Vorteile erfolgt war.
Bereits im Jahre 1922 wurde auf der Jahreskonferenz des Verbandes der
13 Vgl. dazu oben S. 152 f. u. Anm. 7 ebenda.
14 Volksstimme Nr. 5 v. 7. 1. 1924 „Die Sozialdemokratie in der Beurteilung ihrer
Gegner“; Volksstimme Nr. 70 v. 22. 3. 1928 „Die Lüge von der Religionsfeindlichkeit
der Sozialdemokratie“ u. Nr. 71 v. 23. 3. 1928 Wahlaufruf.
15 So auch Hoffmann, a. a. O., S. 15.
16 Vgl. dazu oben S. 29.
17 Beteiligung der SPD an der Genfer Delegation vom Sept. 1921 u. an der Denkschrift
vom Dezember 1921, Dokument S.D.N. C. 10. M. 39. 1922. I.
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