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III. Der dialektische Idealismus
allen den Schwierigkeiten und Widersprüchen, mit allen den Auf¬
gaben und Fragen fertig zu werden, vor die die betreffende Zeit
oder das betreffende Geschlecht sich gestellt sieht. Denn die Dialek¬
tik ist, diese Wiederholung sei gestattet, nicht allein ein entscheiden¬
des Erkenntnisprinzip, sie ist auch eine entscheidende Willens- und
Gesinnungsform und wird von hier aus zu einem entscheidenden
Werkzeug für den Bau des Lebens einer Zeit und eines Geschlechtes.
Daß aber gerade an ihr und an der jeweils geschaffenen Ausprägung
der Dialektik Zeit und Geschlecht ihr schärfstes Kriterium besitzen,
hat seinen letzten Grund in dem Primat der Dialektik für alles
geistige Leben überhaupt, hat seine Notwendigkeit in der über¬
empirischen, in der metaphysischen und schöpferischen Kraft der
Dialektik. Sie ist für alles Sein und Leben von wesentlicher Bedeu¬
tung. Deshalb bietet sich eben von ihr aus die Möglichkeit, das
Wesen einer Zeit zu erfassen und zu verstehen.
9. Die Autonomie der Metaphysik.
Eindringlicher und überzeugender noch als die geschichtliche
Darlegung der Renaissance der Dialektik muß hinsichtlich ihrer
systematischen Bedeutsamkeit derjenige Nachweis gelten, der
ihre konstruktive Funktion eben für die Systematik der Philosophie
selber, und hier natürlich in erster Linie für die „Metaphysik“ auf¬
zudecken unternimmt. Zu den immer wieder auftretenden und oft
mit mehr als mit intellektueller Anteilnahme behandelten Streit¬
fragen der Philosophie gehört die, die sich auf das Wesen der
Metaphysik bezieht. Jeder Überblick über die Entwicklung der
Philosophie und der allgemeinen Geistesgeschichte zeigt den Kampf
für und wider die Metaphysik. In diesem Kampfe sind wohl sämt¬
liche Standpunkte eingenommen worden, die denkbar und möglich
sind, um die Berechtigung der Metaphysik darzutun bzw. um diese
Berechtigung zu bestreiten. Eine Typologie dieser Argumente zu¬
gunsten bzw. zuungunsten der Metaphysik verzeichnet, wie wir
sahen, überhaupt alle theoretischen und alle außertheoretischen
Haltungen des Geistes, verzeichnet alle seine gedanklichen Waffen
und den ganzen Inhalt seines Rüstungsarsenals. Wie die tiefsten Er¬
wägungen für die Begründung und die Geltung der Metaphysik,
so sind auch die schärfsten Einwände gegen sie vorgebracht worden:
ein seltsames und ergreifendes Schauspiel. Versetzt man sich in
seinen Sinn und seinen Verlauf, so drängt sich die Erkenntnis auf,