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I. Typische Einwände gegen die Metaphysik
artigen Klarheit, mit der er ein Mißverhältnis aufdeckte, das zur
Auflösung innerlich reif war. Allerdings durchschaute keiner seiner
Zeitgenossen die Haltlosigkeit der soeben angedeuteten Gemein¬
schaft. Vielmehr sah jedermann in der damaligen Ausbildung der
Metaphysik eine Blüte ihrer Entwicklung und ließ diesen scheinbar
glänzenden Zustand durch ihre Beziehung zu den mathematischen
Naturwissenschaften und durch den daher entnommenen Gebrauch
des mathematischen Beweisganges bedingt sein.
Es konnten nicht die doch nur äußerlichen Angriffe Lockes und
Humes gegen die Metaphysik sein, die einen Argwohn gegen die
Geltung und gegen die Sicherheit der Spekulation wach werden ließen.
Daß die Metaphysik von diesen Angriffen kaum berührt, geschweige
denn ernstlich verletzt wurde, da dieselben von dem Standpunkt
eines recht oberflächlichen Empirismus aus erfolgten, konnte dem
Scharfblick der deutschen Metaphysiker nicht verborgen bleiben.
Sie selber waren Rationalisten, waren Leibnizianer, waren vom
Geist des Rationalismus und vom Vertrauen zu diesem Geist durch¬
drungen. Wie konnte da auf sie eine vom empiristischen Stand¬
punkte her erfolgende Kritik der Metaphysik einen stärkeren Ein¬
druck ausüben? Und es läßt sich auch historisch nicht nachweisen,
daß für das Gebiet der Metaphysik der Angriff von seiten der Empi¬
risten der Machtstellung des leibnizischen Rationalismus eine ernst¬
lichere Erschütterung zugefügt hätte.
Die langsam aufkeimende Gegnerschaft gegen die Metaphysik
kam aus einer anderen und tieferen Quelle. Wenn die Berliner Aka¬
demie eine Preisaufgabe über das Thema ausschrieb, welche Fort¬
schritte die Metaphysik in Deutschland seit den Tagen von Leibniz
gemacht habe, so fühlt man sich zu der Vermutung veranlaßt, daß
dieses Preisausschreiben nicht nur von der Absicht einer einfachen
Feststellung des Tatbestandes diktiert war, sondern daß sich in ihm
auch eine geheime und leise Besorgnis ankündigt. Tatsächlich waren
seit vielen Jahrzehnten keine wirklichen Fortschritte auf diesem
Felde erzielt worden. Dem Rationalismus waren keine neuen Helfer
erwachsen. Zwar werden z. B. Lessing und Herder als Parteigänger
oder wenigstens als Teilanhänger des leibnizischen Rationalismus an¬
gesehen, da sie die Prinzipien und die Methode der „Monadologie“
für die Erkenntnis der geistig-geschichtlich-künstlerischen Welt
fruchtbar zu machen suchten. Sind diese beiden freien und fort¬
schrittlichen Naturen aber nicht nur in einem recht bedingten Sinne
als Anhänger und Förderer des Leibnizianismus anzusehen? Ver¬