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Hallenbau keine bestimmte Länge haben will. Der Architekt aber gab
bei seiner Verantwortung statt dieses wahren Grundes Scheingründe
an, vorausgesetzt, daß die Aufzeichnung des Sohnes (Franc. Sanso¬
vino, Venezia, fol. 115) das vom Vater Vorgebrachte genau wieder¬
gebe. Derselbe gab z. B. ohne Not zu, daß sein Bau im Vergleich mit
dem Dogenpalast niedrig, aber ohne Rücksicht auf denselben entwor¬
fen sei; denn der Dogenpalast, welcher die Majestät der Republik dar¬
stellte, verlangte eine solche Rücksicht allerdings, und zwar in Gestalt
einer Unterordnung der Biblioteca. Daß die geringe Höhe durch die
geringe Tiefe entschuldigt wird, ist ebenfalls eine Ausrede; die geringe
Tiefe hatte einen mächtig gruppierten Hochbau nicht ausgeschlossen
und die Schmalseite gegen die Riva hätte sich schon maskieren lassen.
Venedig wollte ein Meisterwerk nicht der Komposition, sondern der
Durchführung.
Während des Baues publizierte 1544 Serlio (L. IV, fol. 154 oder 155),
angeblich nur für ein raumsparendes venezianisches Wohnhaus mit
Buden in der untern Halle, einen Entwurf, der Sansovinos Idee sehr
schön in das Einfache, Schlankere und Edlere umdeutet.
Palladio umbaute seit 15 49 den alten Palazzo della Ragione seiner
Vaterstadt Vicenza, ein nicht ganz regelmäßiges Oblongum, rings mit
einer untern dorischen und einer obern ionischen Halle; beidemale ist
zwischen den Halbsäulen der Hauptordnung ein Bogen auf freistehen¬
den kleinern Säulen derselben Ordnung eingesetzt. So entstand die
»Basilica«, das öffentliche Gebäude als solches, wie man es in ganz Ita¬
lien gerne gehabt hätte, ganz in Hallen aufgelöst, gleich dem Marmor¬
turm von Pisa. An den Ecken wurden die Ungleich^eit^'auf das Ge¬
schickteste verdeckt. ^yv\
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§ 104
Die Familienloggi\n X
Endlich mußte das 15. Jahrhundert einer\eig6ntümtiihen Sitte genü¬
gen, dem Bau dreibogiger offener Loggien, wAsi£h bei feierlichen An¬
lässen Korporationen oder bestimmte Familien versammelten oder Auf¬
wartung annahmen.
Um 1450 erwähnt M. Savonarola (/. c. col. 1179) zu Padua die präch¬
tige, verzierte, auf vier Marmorsäulen gestützte »Lodia, welche der
Sitz der Rektoren und der Adligen ist«.
Schon das 16. Jahrhundert verstand den Brauch offenbar nicht mehr;
Vasari XI, p. 306, v. di Udine: »die Loggia Medici sei erbaut zur Be¬
quemlichkeit und zur Versammlung der Bürger, wie es die vornehm¬
sten Bürger damals zu halten pflegten«. Laut Fettere sanesi III, p. 75
baute Pius II. die seinige, damit die Piccolomini sich daselbst versam¬
meln könnten »per eserci^j publici di lettere 0 di affari«. Lateinisch heißt
sie urkundlich theatrum; Milanesi II, p. 322. Laut Vitae Papar., Mu-
rat. III, II, Col. 985 hätte noch ein Palast daran gebaut werden sollen.