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In nordisch-gotischen Formen möge man unsymmetrisch bauen,
wozu wir Glück, Geld und den wahren Humor wünschen, sowie gänz¬
liche Freiheit von englisch-gotischem Detail, da auf dem Kontinent
die anmutigere und flüssigere Ausdrucksweise für dieselben Gedanken
an manchen spätgotischen Zivilbauten, freilich zerstreut, zu finden ist.
Der italienisch-gotische Palastbau hatte von vornherein mit dem
Bergschloß und seinem meist unvermeidlich unregelmäßigen Grund¬
plan nichts zu tun gehabt, da seit dem 11. Jahrhundert die HauptwoIn¬
nungen des Adels immer in den Städten gewesen waren.
Er zuerst hatte die Fronten gerade gezogen und nicht beliebig ge¬
brochen; - er hatte für alle Räume eines Geschosses dasselbe Niveau
festgehalten, so daß man nicht aus einem Zimmer über halsbrechende
Stufen in das andere gelangen mußte; - er hatte regelmäßige Korri¬
dore an den Gemächern herumgeführt und sich nicht auf schmale
winklige Gänge und auf beständiges Aushelfen mit Wendeltreppen
verlassen. Bereits war die Einheit der Fronten und des Grundplans die
Mutter aller andern Einheit und Baulogik.
Für den vornehmem Privatbau galt bereits ein gewisses Maß höherer
Form und Ausstattung als unerläßhch, wenn auch im 14. Jahrhundert
der Name Palast noch ganz den fürstlichen und öffentlichen Gebäu¬
den Vorbehalten ist.
(Ein fester für ganz Italien gültiger Sprachgebrauch existierte auch
im 15. Jahrhundert und später nicht, wohl aber für einzelne Städte.
Im Diario ferrarese, bei Murat. XXIV, bes. Col. 220, 337, 390 wird
durchgängig scharf unterschieden zwischen pala^i, palasgotti und case.
In Venedig hieß offiziell alles mit Ausnahme des Dogenpalastes nur
casa, tatsächlich aber nannte man sehr viele Privatgebäudepala^j; San-
sovino, 1Venezia, fol. 139.)
§ 89
Entstehung gesetzmäßiger kubischer Proportionen
Der Theoretiker Alberti gibt statt des ästhetischen Gesetzes für den
Palastbau nur ein Programm für den Inhalt desselben. Außerdem aber
stellt er nach eigenen Beobachtungen die ersten Gesetze für die kubischen
Verhältnisse der einzelnen Binnenräume auf.
Das Gemeingut der Palastanlage, das sich schon seit dem 14. Jahr¬
hundert von selbst verstand, mochte ihm nicht des Mitteilens wert er¬
scheinen. Er selber baute wenigstens Pal. Ruccellai. Vgl. § 30, 40.
Die Hauptstellen: de re aedific. L. V, c. 2, 3, 18; L. IX, c. 2, 3, 4. Es
scheint mehr ein Bauherr als ein Baumeister zu sprechen. (Vgl. Bd.
»Kultur der Renaissance« dieser Ausg., S. 91, 94, 271.) Er verlangt
mancherlei, sowohl Zweckmäßiges als Schickliches, aber er gibt keine
Lösung und möchte am liebsten alles zu ebener Erde bauen, da die
Treppen die Gebäude nur störten, scalas esse aedificiorum pertubatrices.