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Von Dr. Paul Keuth
D ie Kohle ist nach wie vor das Fundament der
deutschen Volkswirtschaft im Zeitalter der Tech=
nik. Ganz besonders gilt dieser Satz für ihre Er=
zeugungsgebiete, darunter unser heimisches Saar=
land. Gewiß: Bevor wir ein Land der Kohlegewin=
nung und =ausnutzung waren, waren wir ein Land
der Erzeugung von Eisen, Glas und Keramik, die
durch das natürliche Vorkommen von Rohstoffen
und den Reichtum an Brennholz aus unseren gro=
ßen Waldungen begünstigt wurde. Aber diese
Vorräte gingen zu Ende, so daß sich schon mit dem
auslaufenden 18. Jahrhundert eine immer bedroh»
licher werdende Existenzkrise dieser traditionel»
len Saarindustrien abzuzeichnen begann. Wie soll»
ten vor allem die „Eisenschmelzen" weiter arbei»
ten, wenn das Land kein Brennholz mehr liefern
konnte?
In dieser Not erwies sich die Saarkohle als Ret=
terin. Indem es nach langwierigen Versuchen ge»
lang, den Eisenverhüttungsprozeß auf Steinkohle
(Koks) umzustellen, war ein doppelter Fortschritt
erzielt. Die Eisenerzeugung machte sich unabhän»
gig von dem Hilfsstoff Holz und verfügte fortan
über ein Brennmaterial, das in nächster Nähe prak»
tisch in unbegrenztem Maße zur Verfügung stand.
Damit war eine Voraussetzung dafür gegeben, daß
unsere Eisengewinnung die bisherigen bescheide»
nen Verhältnisse überwinden und sich nach und
nach zu der heutigen Größe entwickeln konnte.
Aus der Vielzahl kleiner „Eisenschmelzen" erwuch»
sen die heute bestehenden fünf großen Hütten»
werke, deren Hochöfen, Hallen und Schornsteine
mit den Schachtanlagen der Saargruben das Bild
unserer Landschaft prägen. Übrigens kam ein zwei»
ter Glücksumstand hinzu, um diese Entwicklung
der Saarwirtschaft im Großen zu ermöglichen.
Durch die Einführung des Thomasverfahrens
wurde es möglich, lothringische Minette»Erze zu
verhütten, so daß ein Ersatz für die erschöpften
eigenen Erzvorräte gefunden war. Saarkohle und
Lothringer Erz wurden so die Grundlage für die
Entfaltung der Saarindustrie zu jener erstaunlichen
Vielzahl der Fertigungszweige, wie wir sie heute
erreicht haben. In dem Zusammenhang muß auch
der Eisenbahn, die unser abseitiges Land an den
großen Verkehr anschloß, als mitentscheidendem
Auftriebsfaktor gedacht werden.
Diese Errungenschaften des 19. Jahrhunderts sind
uns in ihrer Bedeutung längst bekannt. Ob die
zentrale Stellung der Steinkohle in diesem Ent»
Wicklungsprozeß immer und überall noch richtig
gesehen wird, ist allerdings etwas fraglich gewor»
den. Es ist interessant und nicht nur ein Gedanken»
spiel, in diesem Zusammenhang einmal die Frage
zu stellen, was aus dem Saarland und seiner Wirt»
schaft wohl geworden wäre, wenn im vorigen
Jahrhundert für die damals erforderlich gewordene
Neufundierung unserer Wirtschaft keine Saarkohle
zur Verfügung gestanden hätte.
Nun, mit wissenschaftlicher Exaktheit kann eine
derartige Fragestellung natürlich nicht beantwor»
tet werden. Aber soviel läßt sich doch sagen, daß
unser Land eine völlig andere Entwicklung ge»
nommen hätte. Die Landwirtschaft, bis in das vo=
rige Jahrhundert hinein die wichtigste Grundlage
unserer Wirtschaft, wäre es geblieben. Ob sich
die traditionellen Industriezweige (Eisen, Glas, Ke»
ramik) hätten halten oder gar entwickeln können,
kann bezweifelt werden. Zwar spielen unter den
Standortsfaktoren der Industrien auch die histori»
sehen Faktoren (Tradition) eine Rolle. Das gilt
aber mehr für Fertigindustrien als z. B. für die Ei»
sengewinnung, so daß man annehmen kann, daß
von den alten „Eisenschmelzen" vielleicht die eine
oder andere — auf Verarbeitung umgestellt — hätte