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daraufhin eine Anzeige in die Zeitung und suchte
den rechtmäßigen Besitzer Hannibals. Niemand
aber meldete sich, und der Vogel stahl inzwischen
ungehindert weiter.
Die Klagen und Drohungen wurden lauter, so daß
Onkel Friedrich sich schweren Herzens mit dem
Gedanken vertraut machte, Hannibals Räuberleben
ein Ende zu setzen — zumal er in letzter Zeit so
oft auf den Birnbaum klettern mußte, daß er einen
... da schnappte Hannibal nach Onkel
Friedrichs goldgefaßter Brille und
entschwand damit aus dem Fenster
ziehenden Schmerz in den Kniegelenken nicht
mehr los wurde.
Einen letzten Versuch, Hannibal zu retten, unter*
nahm er aber doch noch. Er fing ihn, steckte ihn in
einen Käfig und brachte ihn in den Wald. Dort ließ
er ihn fliegen in der Hoffnung, ihn nie wiederzu=
sehen. Als Onkel Friedrich müde und staubbedeckt
nach Hause kam, saß Hannibal bereits auf der
Fensterbank und hatte zum Schrecken von Tante
Olga einen versilberten Korkenzieher mitgebracht.
Damit hatte er eigentlich sein eigenes Todesurteil
schon unterschrieben. Wer weiß aber, was mein
Onkel nicht noch alles zu seiner Rettung unter*
nommen hätte, wenn nicht etwas geschehen wäre,
was ihn in eine nicht zu bändigende Wut ver=
setzte.
Nachdem er Hanibal den Korkenzieher abgelistet
hatte, hielt er ihm eine gründliche Standpauke. Der
Schlingel hörte zu, verdrehte die Augen ein wenig,
sagte „Lieber Friiietz und schien sich die Straf*
predigt zu Herzen zu nehmen. Als Onkel Friedrich
ihm aber, über so viel Büßfertigkeit gerührt, das
blauschwarze Gefieder streicheln wollte, huschte
er auf den Tisch, schnappte nach der goldgefaßten
Brille und verschwand durch das Fenster. Onkel
Friedrich rannte die Treppe hinunter zum Birn=
bäum, Hannibal aber, durch Erfahrung gewitzt,
brachte die teure Brille nicht in das gewohnte Ver=
steck, sondern schleuderte sie dem Nachbarn, der
gerade im Garten arbeitete, auf den Kopf.
Onkel Friedrich nahm die Augengläser schamrot in
Empfang, entschuldigte sich bei dem erbosten
Nachbarn und keuchte die Treppe wieder hinauf.
Oben angelangt, mußte er die Vorwürfe seiner
Frau anhören, die behauptete, sie habe ja von
vornherein gewußt, daß die Geschichte nicht gut
ausgehe.
Noch während sie sich stritten, klirrte es im Bade=
zimmer. Glas zerschellte am Boden, und Hannibal
krächzte belustigt dazu. Die beiden armen Men*
sehen stürzten in das Badezimmer und sahen
Hannibal eben mit einem noch schwach zu erken=
nenden Gegenstand davonflattern.
„Mein neues Gebiß!" stöhnte Onkel Friedrich, und
diese Ahnung bestätigte sich dann auch. Onkel
Friederich rannte die Treppe wieder hinunter, klet*
terte die Leiter hoch, aber Hannibal saß in der
höchsten Spitze des mächtigen Birnbaumes.
„Hannibal, herunter mit dir!" schrie der Onkel —
aber Hannibal rührte sich nicht. Onkel Friedrich
kletterte einige Zweige höher, er kam in bedenk»
liehe Nähe des Diebes, dieser aber flatterte davon,
dieses Mal auf den Kirschbaum des Nachbarn.
Onkel Friedrich fiel fast von der Leiter herunter,
er stolperte entkräftet auf den Zaun zu, der die
beiden Gärten voneinander trennte und rief ver=
zweifelt nach Hannibal.
Inzwischen hatten sich die Fenster der umliegenden
Häuser mit Schaulustigen gefüllt. Tante Olga di=
rigierte den Jäger von oben herunter mit lauter
Stimme, Nachbarn und Hausgenossen gaben gute
Ratschläge und lachten lauthals dazu, die Schaden
freude ließ ihre Gesichter hell erglänzen.