Full text: 1962 (0090)

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nes Gefühl, das wie ein himmlischer Ton in silber= 
ner Saite in seinem vom Dienst verhärteten Her= 
zen unter dem festen Tuch der Dienstjacke schlum= 
merte, brach in ihm auf. Er dachte daran, wie er 
als Dreizehnjähriger am Dreikönigstag als Stern» 
bub durchs Dorf gezogen war, singend und heim» 
lieh mit den Münzen klimpernd, die ihn sein hohes 
Amt eingebracht hatte. Es war eine frohe Zeit 
gewesen, voll Glück und Glanz, und es war, als 
strahle sie noch heute einen goldenen Schimmer in 
diese Nacht. So etwas wie Sehnsucht brach in ihm 
auf nach jenen Tagen der unbeschwerten Kindheit, 
da noch kein starres Beamtengewissen seine wei» 
chen menschlichen Gefühle eingepreßt hatte. Er 
seufzte und ließ den Blick verloren durch den 
glitzernden Wald schweifen. Soeben stieg der 
Mond hinter den Einsiedler=Köpfen herauf und 
warf sein silbernes Licht über Bäume, Büsche und 
Pfade, daß sie wie verzaubert aussahen in ihrer 
weißen Pracht. Die Dreikönigsnacht! 
Der Grenzwächter Philipp begann mit offenen 
Augen zu träumen, und wie aus weiter Ferne, ge» 
spenstig fast anmutend, vernahm er plötzlich ein 
Flüstern, ein geheimnisvolles Knacken von Ästen, 
ein gedämpftes Schreiten und Klirren, aber ihn 
dünkte, es müsse so sein, und es gehöre zu den 
heimlichen Wundern der Dreikönigsnacht. Aber 
was war das? Schien sie sich ihm wirklich offen» 
baren zu wollen mit all ihrem Zauber? Oder narr» 
ten ihn seine Sinne? Schritten dort nicht drei 
Männer, in weiße Gewänder gehüllt, hohe Mützen 
auf den gesenkten Häuptern, mit Stäben bewehrt. 
Und trug nicht der vordere einen Stern, der wun» 
dersam im Mondlicht flimmerte? Die Heiligen Drei 
Könige! 
Der vordere, der Sternträger, hatte ihn erspäht, so 
schien ihm. Da plötzlich hub ein Singen an, das 
seltsam feierlich ins weiße Dämmer klang. Die 
Männer sangen das Dreikönigslied. Der Zöllner 
strich sich über die Stirne, als wolle er einen Traum 
fortscheuchen. „Die drei Heiligen" bogen seitlich 
in einen schmalen Pfad ein. Er ließ sie ziehen, 
trotz der prall gefüllten Taschen ihrer weißen 
Mäntel. Es war ja Dreikönigstag. Als hätte er die 
seltsamen Wanderer nicht gesehen, schritt er lang» 
sam den Pfad zurück, und ihm war just, als habe 
er heute sein Sternbubenglück zurückgewonnen, 
und als wäre er gar wieder ein Sternträger wie vor 
dreißig Jahren. 
Indes wartete Marie mit dem Kind auf ihren Franz 
in der warmen Stube bei der Großmutter auf dem 
Eichelscheiderhof. Sie war bald rot, bald bleich im 
Gesicht, und ihr Herz, das törichte Ding, schwankte 
immerfort zwischen Zweifel und Hoffnung. Das 
Kind auf dem Schoße, saß sie am Fenster und 
horchte hinaus. Tritte knirschten ab und zu im 
Schnee und verhallten leise in der Nacht. Ein sanf» 
ter Wind harfte in den Bäumen vor dem Haus. 
Sonst hörte man nichts. Das Kind auf ihrem 
Schoß schlief den sorglos leichten Säuglingsschlaf. 
Maries Augen lasen in dem putzigen Gesichtchen, 
und ihr schien, es stehe viel darin von Franz ge» 
schrieben. 
Sie fand, daß es ein hübsches Kind sei, an dem 
Franz seine helle Freude haben würde. Sie fuhr 
zusammen, als jetzt acht metallene Schläge der 
alten Wanduhr in die Stille der Stube fielen. Marie 
war, als zerschlügen sie ihr alle Hoffnung. Die 
Großmutter, eine alte Frau mit weichen Gesichts 
zügen, trat herein. „Es ist jetzt acht Uhr, Marie. Ich 
denke, wir essen jetzt, meinte sie. Es hat keinen 
Sinn, daß wir länger warten. Sie kommen jetzt 
nicht mehr." Ihre Worte fielen wie Hammerschläge 
in Maries Herz, das Franz entgegenbangte. Schwei» 
gend stand sie auf und legte das Kind ins Bettchen, 
das eigentlich ein alter, geräumiger Waschkorb 
war. 
Da! Auf einmal stampften draußen schwere Schritte 
im Schnee. Jetzt tappten sie bedächtig die Treppe 
herauf, ein mehrstimmiges Lachen erscholl im Flur. 
Die Türe ging auf und herein schritten drei Män» 
ner in weißen Kutten, hohe Mützen auf den Häup» 
tern, mit Stäben bewehrt. Voran schritt Caspar, 
der Mohrenkönig und Sternträger, der aber in 
Wirklichkeit Franz hieß, dann folgten Melchior 
und Balthasar. Sie boten einen feierlichen Gruß 
durch tiefes Neigen der Häupter. 
Was jetzt geschah, spielte sich ein wenig anders 
ab als in der heiligen Geschichte. Caspar warf den 
Stab auf den Tisch, zerrte die Kutte vom Leib, riß 
das Kind aus der Wiege und herzte und küßte es 
derart, daß es aufwachte und fürchterlich zu 
schreien anfing. Erschrocken legte er es der hinzu 
eilenden Großmutter, die etwas von tappigem 
Männervolk brummte, in die Arme, riß Marie ans 
Herz, Küsse auf ihren roten Mund pressend. 
Dann wieder geschah es, ähnlich wie in der heili 
gen Geschichte. Die „Heiligen Drei Könige" öffne 
ten Taschen und Säcke, aber nicht Gold, Weih 
rauch und Myrrhen brachten sie dar, sondern 
allerlei gute und köstliche Dinge, wie es sie damals 
schon gab im viel gepiesenen „Paradies" an der 
Saar, und die im Pfälzischen einen fast sagenhaf 
ten Klang hatten, als da sind Schokolade, Pralinen, 
Gebäck, Kaffee, Tee, Seife, Parfüm, Wäsche, ja 
selbst pralle fette Würste und auch allerlei Spiel 
zeug. 
Da war große Freude im Haus. Und nun hub ein 
Fragen und Erzählen an, und nachdem die Heili 
gen sich gewärmt und genügsam gestärkt hatten, 
zogen sie nach Mitternacht wieder zurück in ihr 
Land.
	        
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