Full text: 1962 (0090)

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Energie. Wenn ich mich so ausdrücken darf: er 
hatte die Fähigkeit, von seinem Verstand einen ob= 
jektiven Gebrauch zu machen. 
Aber was ihn meiner Mutter besonders schwer 
erträglich machte, war seine stete geistige Unruhe. 
Immer war er am Planen, Ummodeln, Abreißen 
und Neuaufbauen. Und wie konnte er planen, auf 
welch weite Sicht hin! In so engen Bahnen sich 
auch sein Dasein bewegte, so bestürzend waren 
oft seine plötzlichen Entschlüsse, und gerade 
solche Krankheitstage waren meist die Geburts= 
stunde neuer Unternehmungen und Reformen. In 
ihnen schöpfte er nicht nur die Kraft zur körper* 
liehen Genesung, sondern auch zu neuen häuslichen 
Veränderungen. Und alle diese Veränderungen, ob 
es sich nun um die Anschaffung von Hühnern und 
die Abschaffung der Gänse, den Kauf eines Hauses 
oder den Verkauf des Hauses und die Übersied* 
lung der Familie aufs Land oder was immer han= 
delte, waren stets dazu angetan, meiner Mutter 
neue Arbeit zu der reichlichen, die sie bereits hatte, 
aufzubürden. Daher auch ihr Widerstand gegen 
alles, was er vorhatte, ob es nun Vorteile oder 
Nachteile brachte. Sie war auf jeden Fall dagegen, 
aus Selbstschutz und aus Unkenntnis, welche For= 
men die Neuerungen am Ende annahmen, die einst* 
weilen noch verlockend aussahen. 
Einmal, in meinem siebzehnten Lebensjahr, kam 
ich aus der Schule nach Haus, da empfing mich 
meine Mutter schon in der Tür mit den Worten: 
„Er liegt wieder so da und starrt zur Decke. Sicher 
brütet er wieder etwas aus. Ein schrecklicher 
Mann!" 
Ich war jetzt allmählich in die Jahre gekommen, da 
ich von den Unternehmungen 
meines Vaters nichts mehr 
hielt. Sie interessierten mich 
nicht mehr, sie machten mir 
keine Unruhe mehr, schlimm* 
stenfalls mokierte ich mich 
darüber mit der Großmäulig* 
keit des Pennälers. Ach, gab 
ich meiner Mutter zur Ant* 
wort, das sei doch alles lächer* 
lieh. 
„Das sagst du so, aber eines 
Tages, vielleicht schon morgen 
oder übermorgen, stellt er uns 
vor vollendete Tatsachen. Und 
dann? Und wer hat die Last? 
Ich! Ich allein." 
„Was will er denn schon Gio* 
ßes machen?" 
„Und wenn er das Haus ver* 
kauft? Er redet schon seit eini* 
ger Zeit davon. Gerade jetzt 
das Haus zu verkaufen, das 
wäre doch das Dümmste, was 
er machen könnte." 
Davon konnte natürlich keine 
Rede sein. Schließlich hatte er 
über eine so lebenswichtige 
Sache nicht allein zu bestim* 
men. 
„Dann geh zu ihm!" meinte 
meine Mutter. „Frag ihn! Mir 
gibt er ja keine Antwort." So 
stachelte sie mich auf, und 
selbstverständlich erlag ich 
ihren Einflüsterungen. Ich be* 
trat das Schlafzimmer. Er lag 
im Bett, blaß, die blauen, 
pfiffigen Augen wie abwesend 
„Hat die Mutter dich mal wieder vorgeschickt?" fragte er mit Schmunzeln
	        
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