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Energie. Wenn ich mich so ausdrücken darf: er
hatte die Fähigkeit, von seinem Verstand einen ob=
jektiven Gebrauch zu machen.
Aber was ihn meiner Mutter besonders schwer
erträglich machte, war seine stete geistige Unruhe.
Immer war er am Planen, Ummodeln, Abreißen
und Neuaufbauen. Und wie konnte er planen, auf
welch weite Sicht hin! In so engen Bahnen sich
auch sein Dasein bewegte, so bestürzend waren
oft seine plötzlichen Entschlüsse, und gerade
solche Krankheitstage waren meist die Geburts=
stunde neuer Unternehmungen und Reformen. In
ihnen schöpfte er nicht nur die Kraft zur körper*
liehen Genesung, sondern auch zu neuen häuslichen
Veränderungen. Und alle diese Veränderungen, ob
es sich nun um die Anschaffung von Hühnern und
die Abschaffung der Gänse, den Kauf eines Hauses
oder den Verkauf des Hauses und die Übersied*
lung der Familie aufs Land oder was immer han=
delte, waren stets dazu angetan, meiner Mutter
neue Arbeit zu der reichlichen, die sie bereits hatte,
aufzubürden. Daher auch ihr Widerstand gegen
alles, was er vorhatte, ob es nun Vorteile oder
Nachteile brachte. Sie war auf jeden Fall dagegen,
aus Selbstschutz und aus Unkenntnis, welche For=
men die Neuerungen am Ende annahmen, die einst*
weilen noch verlockend aussahen.
Einmal, in meinem siebzehnten Lebensjahr, kam
ich aus der Schule nach Haus, da empfing mich
meine Mutter schon in der Tür mit den Worten:
„Er liegt wieder so da und starrt zur Decke. Sicher
brütet er wieder etwas aus. Ein schrecklicher
Mann!"
Ich war jetzt allmählich in die Jahre gekommen, da
ich von den Unternehmungen
meines Vaters nichts mehr
hielt. Sie interessierten mich
nicht mehr, sie machten mir
keine Unruhe mehr, schlimm*
stenfalls mokierte ich mich
darüber mit der Großmäulig*
keit des Pennälers. Ach, gab
ich meiner Mutter zur Ant*
wort, das sei doch alles lächer*
lieh.
„Das sagst du so, aber eines
Tages, vielleicht schon morgen
oder übermorgen, stellt er uns
vor vollendete Tatsachen. Und
dann? Und wer hat die Last?
Ich! Ich allein."
„Was will er denn schon Gio*
ßes machen?"
„Und wenn er das Haus ver*
kauft? Er redet schon seit eini*
ger Zeit davon. Gerade jetzt
das Haus zu verkaufen, das
wäre doch das Dümmste, was
er machen könnte."
Davon konnte natürlich keine
Rede sein. Schließlich hatte er
über eine so lebenswichtige
Sache nicht allein zu bestim*
men.
„Dann geh zu ihm!" meinte
meine Mutter. „Frag ihn! Mir
gibt er ja keine Antwort." So
stachelte sie mich auf, und
selbstverständlich erlag ich
ihren Einflüsterungen. Ich be*
trat das Schlafzimmer. Er lag
im Bett, blaß, die blauen,
pfiffigen Augen wie abwesend
„Hat die Mutter dich mal wieder vorgeschickt?" fragte er mit Schmunzeln