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Erzählung von Fritz Glutting
n
1W ie graue Decke des Himmels hängt niedrig
über der Erde. Die vier Enden der Welt scheinen
seltsam nahe gerückt, die Grenzen zwischen Him=
mel und Erde scheinen seltsam verschwommen zu
sein.
Die Kathrin Backes aus Weierweiler, die sich mut-
terseelenallein auf der Welt vorkommt, als sie den
Wald verläßt und auf die Weyher Triesche bei
Noswendel hinaustritt, fühlt die Düsterheit dieses
letzten Oktobertages und weiß sie sich auch zu
erklären: der Böse regiert, Gott hat ihm das Regi-
ment überlassen.
Wie anders wäre es sonst möglich, daß es allent=
halben in der christlichen Welt Hexen gibt, die sich
mit dem Gottseibeiuns nur zu dem Zweck verbin=
den, ihren Mitmenschen zu schaden. Sie selber,
nein, sie selber ist keine Hexe! Wohl ist es ein
offenes Geschrei, daß sie von dem Hexenmeister
Meyer Velten und den Hexen Schmidts Else, sowie
Jorgen Kathrin als Mitschuldige angegeben wurde.
Aber — und die Kathrin Backes schlägt ein Kreuz
— es soll bei den Hexenprozessen nicht immer
richtig zugehen! Man hört da so allerhand, Neid
und Haß sollen sehr oft ihre Hände im Spiel haben.
Hatte sie nicht einmal der Schmidts Else, der ein
loses Mundwerk zur Unzierde gereichte, das Maul
gestopft? Und was tat dieses mißgünstige Weib?
Kaum hatte man den Prozeß begonnen und es mit
dem ersten Foltergrad bedacht, da schrie das vom
Teufel besessene Weib, es habe mit Junker Hans,
einem gar schönen Jüngling, der aber eiskalt anzu
fühlen gewesen sei, seinen Willen gehabt und sei
mit ihm zum Entenpfuhl, ganz nahe bei Weier
weiler, gefahren, wo gar viele Hexen aus Weier-
weder, Rappweiler und Thailen sich zur Zauber-
gesellschaft eingefunden hätten, darunter auch sie,
die Kathrin Backes aus Weierweiler.
„Mein Gott", und wiederum schlug die Kathrin das
Kreuz, „der Böse scheint es besonders auf Weier
weiler abgesehen zu haben. Im letzten Jahr sind
dreizehn Personen, acht Frauen und fünf Männer,
als Hexen verbrannt worden. In Weierweiler gibt
es fast nur noch Kinder. Wo führt das noch hin?"
Sie vermeidet ängstlich, näher auf ihr eigenes
Schicksal einzugehen, als ginge auf diese Weise
der Kelch an ihr vorüber. Sie tut so, als sei sie rein
zufällig zu dieser Stunde, wo sich der kurze dunkle
Spätherbsttag mit der rabenschwarzen Nacht ver
mählen will, auf dem Weg nach Lockweiler, um
sich dort zu verbergen. Sie will sich selber nicht
daran erinnern. So tun alle, welche nicht mehr ein
und aus wissen.
Gestern abend noch sprach man über die schlimmen
Zeiten. Am Herdfeuer war es gewesen, als der
Kienspan brannte. Hasen Eis, Schefen Johannet
und Trein, des Schneiders Frau, waren da außer
ihr, fast die einzigen Erwachsenen von Weier
weiler. Dazu waren noch Thomas Engel von Rapp
weiler sowie Volerigs Entgen und Forkers Eis aus
Thailen herübergekommen.
Nur flüsternd haben sie gesprochen, jedes laute
Wort müßte der Böse gehört haben. Volerigs
Entgen erzählte von einem Bekannten aus Pel
lingen im Kurfürstentum Trier, dessen Heimatort
durch die Hexenprozesse ebenfalls fast ganz ent
völkert sei. Als er von einem Ungeheuerlichen zu
reden begann, das sich in diesen Tagen in Trier
begeben habe, wo der Kurfürst Johann von Schön
berg, ein sehr frommer Mann und seeleneifriger
Diener Gottes, den seit Jahren währenden An
schuldigungen der Hexen nachgegeben und den
Stadtschultheiß Dietrich Flade sowie den Gerichts
schöffen Nikolaus Fiedler als Oberste der Hexen
sabbate eingekerkert habe, da mußten sie ihre
Ohren an den Mund des Sprechers legen. Nur
schwer ließ sich der Triumph verbergen, daß es
endlich auch Personen höherer Stände an den Kra
gen ginge. Als ob nur Bauersleute Hexen wären!
Dabei sei doch der Böse eigentlich nur ein Freund
der Stolzen, und stolz könnten heutzutage nur die
Höheren sein.
Volerigs Entgen, der auch zu lesen verstand, zog
dann ein Flugblatt aus der Tasche und begann
daraus vorzulesen. Dieses Blatt hatte er von sei
nem Pellinger Bekannten erhalten. Darin stand,
daß Beelzebub nicht eher lache, als bis ein Dorf
untergehe. Dieser unser abgesagter Erzfeind,
Seelenmörder und alter Drache habe sich zu einer
neunzigjährigen Vettel gesellt und Umgang mit ihr
gehabt. Er habe sie dann in vielen Kräutern unter