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wogenden Kornährenfeld wieder zum Ausgang, d. h.
zur Mund- und Nasenöffnung, hochtransportiert.
Durch Ausspucken des Staubpartikelchen enthal
tenden Speichels machen wir uns vom Staub end
gültig frei. Diese Reinigungsvorgänge zeigen bei
Mensch und Tier keine prinzipiellen Unterschiede,
und man weiß heute, daß mittels der bronchogenen
Reinigungsfunktion etwa 90—95 % des bis in die
Lungenalveolen eingedrungenen Feinstaubes aus
dem Körper wieder ausgeschieden werden können.
Im Tierexperiment läßt sich sogar das Tempo des
Transports der Staubteilchen auf dem Flimmerhaar
feld bestimmen. Und im Urlaub an der See oder im
Gebirge wundern wir uns nicht schlecht, wenn grau
schwarzer Auswurf uns noch nach Wochen daran
erinnert, daß die natürliche Reinigungstätigkeit der
Bronchialschleimhaut noch immer Grubenstaub zu
tage fördert.
Die zweite vom Organismus praktizierte Reinigungs
funktion geschieht über die feinen Lymphwege der
Lunge. Hier verhält sich der Körper ähnlich wie
beim Eindringen infizierten Materials in eine Wunde.
Bestimmte Blutzellen, die sogenannten Polizisten
des Körpers, treten aus den Gefäßen aus, fressen
das infizierte Material in sich hinein und begeben
sich als sogenannte Freßzellen oder Phagozyten in
den Lymphstraßen auf Wanderschaft zu den regio
nalen Abladeplätzen, den Lymphknoten. Viele von
uns kennen solche Zustände von der Entzündung
her. Am Finger hat man sich verletzt und infiziert,
der Finger schwillt an, wird rot, heiß und schmerz
haft. An der Innenseite des Armes bildet sich der
bekannte rötliche Streifen der Lymphstrangentzün-
dung. In der Achselhöhle schwellen die zugehörigen
Lymphknoten schmerzhaft an. Ähnlich handelt der
Körper in der Lunge bei Staubeinatmung. Auch in
die Lungenbläschen treten Freßzellen aus und trach
ten danach, sich die eingedrungenen Feinstaubpar
tikel einzuverleiben und, mit Staubteilchen beladen,
den Abtransport über die Lymphwege zu den regio
nalen Abladeplätzen, in diesem Fall den Lungen
wurzeldrüsen (Hilus), vorzunehmen. Auf diese Weise
werden etwa 5—10 % des bis in die Bläschen
eingedrungenen Staubes aus der Lunge fortge
schafft.
Bleibt die eingeatmete Staubmenge gering, wird
unser Körper mittels der beiden genannten natür
lichen Reinigungsmechanismen mit dem Staubange
bot selbst fertig; es gibt keine Staublungenverän
derungen, weil der Staub in seiner Gesamtheit je
weils nach außen oder innen wieder abgeführt wird.
Erst wenn aus irgendeinem Grund das Reinigungs
system versagt oder überbeansprucht wird, wenn
eine größere Menge Staubes eingeatmet wird als
unser Organismus auf die beschriebene Weise aus
zuscheiden vermag, kommt es in den Abfuhrwegen
zu einer „Verkehrsstockung“ und schließlich zu
völliger Verstopfung der Lymphstraße in der Lunge
Genau wie im Straßenverkehr sind die Kreuzungs
und Treffpunkte der kleinen Lymphwege die „Ge
fahrenstellen“. Und hier ist es in der Regel, wo
sich die ersten Staubzellanhäufungen, die Vorläufer
der silikotischen Bindegewebsknötchen, bilden. Die
Silikose beginnt ihren Lauf zu nehmen.
Die Staublungenforschung glaubt auf Grund jahr
zehntelanger Erfahrung heute schon sagen zu kön
nen, unterhalb welcher Staubbelastung mit dem
Auftreten von silikotischen Veränderungen nicht
mehr zu rechnen ist. Jeder Bergmann weiß aber aus
eigener Berufserfahrung, daß es wie bei anderen
Krankheiten auch bei der Staublunge „besonders
anfällige“ und andererseits auch völlig „unempfind
liche“ Menschen gibt. Damit sind wir bei dem gro
ßen, bis heute noch ungelösten Problem der per
sönlichen Staublungenveranlagung (Disposition) an
gelangt. Trotz langjähriger intensiver medizinischer
Forschung können wir Ärzte bisher noch keine be
friedigende Antwort geben auf die Frage: wie
kommt es, daß von hundert im gleichen Maße
staubgefährdeten Personen nach jahrzehntelanger
Arbeit ein geringer Teil eine schwere tödliche Sili
kose erwirbt, ein weiterer Prozentsatz von mittel-
gradiger Silikose befallen wird und ein großer Pro
zentsatz praktisch völlig silikosefrei bleibt. Ließe
sich diese Silikoseveranlagung vorher feststeilen,
wäre durch werksärztliche Auswahl entsprechender
Arbeiter, die nicht silikoseanfällig sind, das Sili
koseproblem für die Bedürfnisse praktischer Be
lange schon gelöst. Dem ist aber leider noch nicht
so.
Warum machen wir aber dann die Einstellung im
Bergbau von einer besonderen ärztlichen Unter
suchung abhängig? Weil es nämlich doch bestimmte
Menschen gibt, die der Arzt von vornherein als
besonders silikosegefährdet erkennen kann. Das
sind beispielsweise Personen mit Narbenbildung
nach durchgemachten früheren Lungenerkrankun
gen, etwa abgeheilten Tuberkulosen, mit chroni
schen Entzündungen der Bronchialschleimhäute oder
sonstigen Bronchialveränderungen, mit Herzerkran
kungen, ferner alle Zustände, die die Beweglichkeit
der Lunge beim Atemvorgang behindern, wie Brust
fellverwachsungen und Schwartenbildung nach frü
her durchgemachter feuchter Rippenfellentzündung,
schlecht verheilte Rippenbrüche, Brustkorbdefor
mierung bei Wirbeisäulenverbiegung oder nach
englischer Krankheit, um nur ein paar solcher Be
funde zu nennen. Bei Vorliegen solcher durch eine
sorgfältige ärztliche Untersuchung feststellbarer
Körperbefunde weiß der Arzt, daß dieser Mensch,
Auf dem Stiefel bei Sengscheid ^