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Der Unfallselbstschutzgedanke
als Faktor der psychologischen Unfallbekämpfung
Von Abteilungsdirektor
1. Bergrat a. D. van Gember
und Abteilungsleiter N. Rupp,
Sicherheitsabteilung
Die Unfallentwicklung eines jeden Betriebes ist
von wesentlichem Einfluß auf das Betriebsklima und
damit auch auf den betrieblichen Erfolg. Trotz allen
Bemühungen zur Bekämpfung der Unfälle ist es je
doch noch nicht gelungen, die Unfallzahlen so ent
scheidend herabzumindern, wie es aus menschlich
sozialen und aus betriebs- und volkswirtschaftlichen
Gründen wünschens- und erstrebenswert wäre. Im
Bergbau, mit dem wir uns hier näher befassen wol
len, ist es durch die jahrzehntelangen Bemühungen
der Bergbehörden und der verantwortlichen In
genieure zwar gelungen, die Arbeitsverfahren sowie
die vielseitigen technischen Einrichtungen, wie Ma
schinen, Ausbauelemente, Geleucht, Sprengmittel,
Bewetterung usw., laufend unfallsicherer zu gestal
ten und dadurch die Unfälle durch technische Ur
sachen soweit herabzumindern, daß sie heute nur
noch etwa 20 bis höchstens 30 % aller Ursachs
faktoren umfassen. Die Tatsache, daß im Saarberg
bau um die Jahrhundertwende noch 0,55 bis 0,60
tödliche Unfälle je 100 000 verfahrene Schichten zu
verzeichnen waren und deren Anzahl trotz der in
zwischen erfolgten Mechanisierung der Kohlenge
winnung und -förderung nach und nach bis auf 0,30
im Durchschnitt des letzten Jahrzehntes und sogar
bis auf 0,23 im letzten Jahre abgesunken ist, be
stätigt dies sehr eindrucksvoll.
Geblieben aber sind die vielen Unfälle durch
menschliche Fehler und Schwächen, die in Verbin
dung mit dem Ansteigen der technischen und sach
lichen Möglichkeiten verstärkt zur Auswirkung
kommen. Aus diesen Erfahrungen ergibt sich die
Notwendigkeit, die Bemühungen der technischen
Unfallverhütung durch psychologische Maßnahmen
zu ergänzen, indem jedem einzelnen Bergmann —
um einen entscheidenden Erfolg in der Unfallbe
kämpfung zu erreichen — durch eine entsprechende
Aus- und Fortbildung die Befähigung zur rechtzei
tigen Erkenntnis der verschiedenartigen Unfallmög
lichkeiten vermittelt wird. Dieses ist um so not
wendiger, da sich erwiesen hat, daß einwandfreie
Arbeitsbedingungen oder langjährige Gewöhnung
an vorhandene Gefahren sehr leicht zur Sorglosig
keit und damit zu Unvorsichtigkeiten verleiten, so
daß die hierdurch vorkommenden Unfälle weit häu
figer sind, als allgemein angenommen wird. Wir
erwähnen hierzu beispielsweise die vielen Unfälle
durch die Hinauszögerung des Streb-Ausbaues im
Verlaß auf das einwandfrei erscheinende Hangende
oder die Unfälle älterer und erfahrener Elektriker,
die durch ihren täglichen Umgang mit elektrischen
Geräten allmählich gefahrenblind geworden sind.
Diese sogenannten vermeidbaren Unfälle werden
im Saarbergbau schon jahrelang zu bekämpfen ver
sucht durch
— den Aushang von belehrenden Unfallverhütungs
bildern,
— die Verteilung von bebilderten Flugblättern mit
dem Hinweis auf das unfallsichere Verhalten bei
diesen oder jenen Arbeitsausführungen,
— die Bekanntgabe von sogenannten Sicherheits
parolen und dergleichen durch Lautsprecher,
— die Veröffentlichung von lehrreichen Unfallver
hütungs-Preisausschreiben,
— die Ausgabe von zweckentsprechenden Unfall
schutzmitteln,
— den alljährlichen Wettbewerb der Gruben zur
Erringung des Wanderpreises für die Gruben
sicherheit usw.
Mit diesen zum Teil sehr kostspieligen Maßnahmen
wurde jedoch bis jetzt kein durchschlagender oder
nachhaltiger Erfolg erzielt. Aus diesem Grunde wird
neuerdings über die vorerwähnten Maßnahmen hin
aus versucht, jedes einzelne Belegschaftsmitglied
im Interesse der Unfallverhütung und in Verbindung
mit dem bergmännischen Kameradschaftsgedanken
zur persönlichen Mithilfe anzusprechen. Es handelt
sich hierbei um den sogenannten Unfallselbstschutz,
der bereits in anderen Industriezweigen des In-
und Auslandes seit einigen Jahren mit Erfolg Ver
breitung gefunden hat und insbesondere auch bei
einem westfälischen Bergwerksunternehmen zu
beachtlichen Erfolgen geführt hat.
Mit dem Unfallselbstschutzgedanken soll erreicht
werden, daß jeder Betriebsangehörige, vom Be
triebsdirektor bis zum jüngsten Bergmann, sich
stets um die Unfallsicherheit im Betrieb bemüht, je
der einzelne sich der jeweiligen Unfallgefahren
immer bewußt bleibt und durch Vorsicht sowie
Sicherheitsvorkehrungen jeden Unfall zu vermeiden
sucht, soweit dies innerhalb seines Einflußbereiches
möglich ist. Neben diesem Eigenschutzgedanken
umfaßt jedoch der Unfallselbstschutz, auf die tra
ditionelle bergmännische Kameradschaft übertra
gen, auch die Kameradschaftshilfe, indem jeder
nicht nur auf sich selbst achtet, sondern sich auch
für seine Kameraden verantwortlich fühlt und diese
vor Unfällen zu bewahren sucht. In diesem Sinne
ist der Unfallselbstschutzgedanke eine Selbsthilfe