Full text: 1961 (0089)

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Von Peter Michaely 
in Hobby ist, wenn man tut, was man möchte 
und nicht muß. Beispielsweise eine Arbeit, die, 
wenn sie noch soviel Arbeit macht, nicht als Arbeit 
empfunden wird. Es ist das Ventil des Alltags, die 
Beruhigungspille der zivilisierten Welt und — sei* 
ner Abstammung nach — ein direkter Nachkomme 
der Liebhaberei, der, weil er in unserer Zeit lebt, 
viel von der Harmlosigkeit seines Vorfahren ein= 
gebüßt hat. Denn man rechnet mit ihm. Das Hobby 
wird von Regierungen gefördert, von Ehefrauen 
erhofft, von Ärzten verschrieben: Wer in seiner 
Freizeit nur Freimarken jagt, hat wenig Sinn für 
Revolutionen, wer am Wochenende Radios bastelt, 
hat wenig Zeit für Untreue und so weiter und 
so fort. 
Wie jedoch so manche Medizin, bei zu starker Do= 
sierung nicht mehr ungefährlich ist, geht es auch 
mit diesem Heilmittel gegen Langeweile, Manager* 
tum und andere Zeitkrankheiten: Es kann zu 
Komplikationen führen, die man Fanatismus nennt. 
Sehen Sie nur Heinrich! 
Das Fotoalbum, das mit seinen Gruppenaufnah* 
men, mit lächelnden Mädchen, weinenden Kindern 
und Landschaft, allen Sorten Landschaft, ein „le* 
bendiger Rückblick über viele Jahre" bedeutet hat, 
ist ihm nichts mehr als ein überholtes, verschämt 
verborgenes Zeichen menschlicher Unzulänglich* 
keit. Denn Heinrich, der da knipste, sammelte, 
klebte und mit Untertexten versah, hat inzwischen 
das Fotografieren zum Hobby gewählt. Und schon 
empfindet er seine Bilder, seinen Apparat und sich 
selbst als unentschuldbar rückständig und be= 
schließt, dies zu ändern. 
Zunächst hat er nur einschlägige Literatur auf dem 
Nachttisch und fotoerfahrene Freunde zum Abend* 
essen. Aber dann, mit den wachsenden Kennt* 
nissen um die neuesten Angebote der Fotoindustrie, 
gilt es anzuschaffen: den besseren Apparat, den 
passenden Leitfaden zum Apparat, Entwickler* 
gerät, wie es der Leitfaden empfiehlt und Zubehör, 
immer wieder Zubehör. 
Er entwickelt selbst, das versteht sich. Seine Fa* 
milie darf solange — sehr lange — nicht in das 
Badezimmer, weil es zur Dunkelkammer erhoben 
wurde. Sie will auch nicht hinein, weil Heinrich 
sich währenddessen als explosiv erweist. Verdor* 
bene Filme fallen verschwiegen in den Mülleimer 
(der willig auch große Mengen aufnimmt), gute 
Bilder langweilen ahnungslose Besucher, die mit 
jedem Glas Wein Heinrichs Erkenntnisse anhören, 
deren Ergebnisse ansehen müssen. 
Ob er besser fotografiert, sei dahingestellt, er weiß 
es oft selbst nicht. Jedenfalls fotografiert er be= 
wußter und mit mehr Aufwand. Vielleicht sehnt er 
sich manches Mal nach der Zeit zurück, als er noch 
harmlos knipste, was ihm unter die Linse kam: 
Wenn er — nehmen wir an — nach einer Gipfel* 
besteigung feststellt, daß trotz mitgeschlepptem 
Belichtungsmesser, Stativ und einer Musterkollek* 
tion Objektiven der berühmte fotografische Tal* 
blick nicht stattfinden kann, weil infolge unvorher* 
gesehenen Sonnenscheins noch eine Zusatzblende 
nötig wäre — dann wünscht er sich das verlorene 
Paradies naiven Laientums zurück (in dem man in 
solchen Fällen trotzdem knipst). 
Seine Frau tut das längst — und ist trotzdem klug 
genug, ein drittes Objektiv wichtiger als einen 
neuen Hut zu finden. 1. weil er mit seinem Hobby 
so wunderbar beschäftigt ist und 2. weil es un= 
angenehmeres als das fotografische Hobby gibt. 
Der Mann ihrer Freundin sammelt nämlich Käfer.
	        
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