Full text: 1961 (0089)

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VON CARL LUDWIG SCHAFFNER 
N ichts kennzeichnet den alten Ottweiler Bürger 
mehr als seine unbändige Lust zum Hänseln und 
zum Spotten. Keine Gelegenheit geht vorüber, wo 
von dieser Anlage nicht ausgiebig Gebrauch ge= 
macht wird. Hochburgen dieser Hänseleien, aber 
auch Fundgruben alter Geschichten sind die un= 
zähligen Vereine, die sich im Laufe der Zeit her= 
ausgebildet haben und in denen nach dem „offi= 
ziellen Daal", wie man so hübsch das Wort „lang= 
weilig" umschreibt, im „gemiedliche Daal" stets 
solche Volkswitze und Geschichten zur Sprache 
kommen. Daß Witze und Ulk meist der Urwüch= 
sigkeit Rechnung tragen und derb ausfallen, oder, 
um es in der Volkssprache auszudrücken, „vunn 
gude Eldere schtamme", versteht sich von selbst. 
In den folgenden Kleingeschichten soll vor allem 
der Typus des Alt=Ottweilers, das sog. „Original", 
dargestellt werden. 
Geschichten vom „Hof=Karel" 
Der Typus eines lustigen Alt=Ottweilers war bei= 
spielsweise der „Hof=Karel": lustig, geweckt und 
stets zu Streichen aufgelegt. Nachdem er das 
Schlosserhandwerk erlernt hatte, arbeitete er als 
Bergmann auf der Grube Maybach. Von ihm er= 
zählt man sich folgendes nette Geschichtchen: 
Es war um die Zeit, als die Zugklingel als neue 
Errungenschaft in den Häusern Ottweilers Eingang 
fand, und zwar, wie man sich denken kann, zum 
besonderen Ergötzen der halbwüchsigen „Lorme", 
die wieder ein geeignetes Instrument zum Schaber= 
nack=Spielen hatten. Der „Hof=Karel" entwickelte 
unter seinen Altersgenossen ein besonderes Ge= 
schick, die Klingelbesitzer zu äffen, zumal um die 
Mittagszeit, aber aus sicherem Versteck sich über 
das Geschimpfe der Gefoppten zu belustigen. 
Eines Tages, als er aus der Schule kam, bemühte 
er sich, den vollgepackten Bücherranzen auf dem 
Rücken, vergeblich den zu hoch angebrachten Klin= 
gelzug des Kaufhauses K. zu erreichen, bis er 
schließlich aus Ärger über das Vergebliche seiner 
Bemühungen in bittere Tränen ausbrach. 
Zufällig ging der damalige Oberpfarrer vorbei, 
sah die Betrübnis des „Hof=Karel" und erkundigte 
sich teilnehmend, was der Junge denn da wolle. 
„Ei schelle, Herr Owwerparre", sagte der kleine 
Sünder, worauf der Herr Oberpfarrer gutmütig 
die Klingel in Bewegung setzte. Als die Klingel 
das Haus alarmierte, erhellte sich das Gesicht des 
kleinen „Hof=Karel" zusehends, und freudig drehte 
er sich zu seinem erstaunten Helfer in der Not um 
mit den Worten: „Danke scheen, Herr Owwer 
parre! Alleweile misse mer awwer laafe, awweile 
kumme se!" Sprach's und lief dem verdutzten 
Oberpfarrer davon. 
Als der „Hof=Karel" aus der Schule entlassen, die 
Abschiedsfeier zu Ende und das Zeugnis in Hän= 
den der jungen Lebenskandidaten war, fragte ihn 
sein früherer Lehrer St., bei dem er es immer „gut 
stehen" hatte: „Nun, Karl, bei welchem Lehrer 
warst du denn am liebsten in der Schule?" 
„Och — 's sinn lauder Mängel", war „Hof=Karels" 
ungeschminkte Antwort. 
„Baas Marian" und die „Parre Gaas“ 
Die alte „Baas Marian" hatte in Alt=Ottweiler den 
Ziegenbock zu betreuen — eine wichtige Aufgabe, 
da die Ziegenzucht im alten Ottweiler in Blüte 
stand. Nun war der alte Schlossermeister H. „kip= 
pich" mit der Alten, hätte aber gerne seine Ziege 
zu Baas Marians Bock gebracht. Er sann hin und 
her, wie er das machen sollte, ohne daß die Alte 
etwas merkte. 
Endlich kam ihm ein origineller Einfall. Seinen 
jüngsten Lehrjungen schickte er im guten Konfir= 
mandenanzug „hinten herum" über die „Tensch"
	        
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