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Wo war die Zeit, da man ordnungsmäßig ein La»
ger beziehen konnte, in dem jedem Regiment und
jedem Fähnlein sein Platz abgesteckt war, wo die
Fahne des Regiments über den Zelten flatterte,
wo rings um das Lager Graben und Wall sich zo=
gen, bestückt mit Viertel= und Achtelkartaunen?
Vorbei, verweht! Räuber und Marodeure waren
sie geworden, die nur noch um ihrer leiblichen
Notdurft willen Krieg führten. Potz, Donner und
Doria! Das war nicht mehr zum Aushalten!
Geschrei kam auf, wurde stärker und umbrandete
schließlich die Hütten. Die Schweden waren längst
aufgesprungen und erwarteten kampfbereit den
Feind. Doch waren's nur die Troßbuben und die
Weiber, die aus allen Richtungen schreiend heran=
liefen und, verquer redend, frohe und schlimme
Kunde zugleich brachten.
Die einen, die gen Osten geschickt worden waren,
berichteten sabbernden Mundes, daß sie in dieser
Richtung Dörfer ausgemacht hätten, in denen noch
fast alle Häuser heil wären.
In den Jubel über diese Kunde drangen die Be»
richte der anderen, die gen Westen geschickt wor»
den waren, über das Herannahen einer Soldateska.
Ob's Freund oder Feind wäre, hätte man in der
Eile nicht ausmachen können.
Mitten in den lauten Überlegungen, ob man sofort
in das Paradies der drei Dörfer aufbrechen oder
besser den Trupp fremder Soldaten abwarten
solle, tauchte dieser Trupp zwischen den Bäumen
auf. So wie Wildtiere, die beim ersten Anzeichen
einer Gefahr stutzen und lauernd verhalten, stan=
den sich in diesem Augenblick die Soldaten gegen»
über. Sei es, daß unter den schmutzigen Lumpen,
die sie fast alle trugen, das eine oder andere Kenn»
Zeichen deutlich sichtbar war, genug, sie hatten sich
gleich als Schweden und Franzosen, also als
Freunde, ausgemacht.
Die Franzosen waren von den Kaiserlichen aus
Mainz herausgehauen worden und als Versprengte
über den ganzen Hunsrück geirrt und beinahe in
die Hände der Spanier gefallen, die bei Trier stan»
den und um jeden Franzosenhals verteufelt gerne
einen Strick legten.
Ihnen gerinne jetzt noch das Blut in den Adern,
wenn sie der Nacht vom 25. auf den 26. März die»
ses Jahres gedächten, als die Spanier von Luxem»
bürg her in Trier eindrangen und den Franzosen
in einem Blutbad arg zusetzten. Nur wenige von
ihnen wären damals nach Mainz entkommen, und
jetzt hätten sie auch von dort flüchten müssen. Im
übrigen wären sie hungrig wie Wölfe und willens
wie diese, alles zu reißen, was ihnen in die Finger
geriete.
Die Schweden sahen mit einem lachenden und
einem weinenden Auge zu, wie sich ihre neuen
Genossen bereitmachten, mit gen Osten in die
Dörfer zu ziehen. Sicherlich, die Schwerter und
Musketen der Franzosen waren ihnen willkom»
men, aber der gierigen Hände waren mehr als
genug, die da in den Ortschaften voraus raffen und
rauben wollten.
Schnell hatte sich ein leidlich kriegsmäßiger Zug
gebildet. Vornweg die Späher, dann die Offiziere,
dann die endlose Schlange der gewöhnlichen Sol»
dateska, zum Schluß dann der Troß.
Fast jeder der Schweden hatte eine Frau beim
Troß, die für ihn buk, kochte, wäschte, die ihn
pflegte, wenn er verwundet war, die auf die Beute»
Sachen aufpaßte wie ein wütender Wachhund. Mit
den Frauen zogen die Kinder. Die größeren unter
ihnen hatten schon Gefechte mitgemacht, und in
den Lagerschulen, deren strenge Zucht einst der
König Gustav Adolf eingeführt hatte, war es oft
vorgekommen, daß auch eingeschlagene Kanonen»
kugeln sie nicht aus den Bänken treiben konnten.
Ein hartes Geschlecht, das sich selbst und anderen
nichts schenkte.
Mit einem Male lag das Dorf vor ihnen. Mitten
auf einem Hügel die Kirche, und drum herum,
wie die Küken um die Henne, lagerten sich die
Häuser. Heile Häuser! Nichts von Brandschutt und
verkohltem Gebälk!
Mit Jubelgeschrei rasten die Schweden und Fran»
zosen, rasten Männer, Weiber und Kinder auf die
Häuser zu. Beim Rauben, Plündern, Morden und
Schänden erfuhren sic dann, daß das Dorf Losheim
hieß und daß noch weitere Dörfer ostwärts liegen
würden. Die Kirche und die Häuser brannten bald
wie Fackeln. Die Schweden hatten ihre Freude da»
ran, denn die Flammen spendeten Wärme und
leckten alles auf, was den kaiserlichen Horden des
Callas hätte dienlich sein können.
//. Der mörderische Hauptteil
Die Kunde vom Durchzug der Schweden und
Kaiserlichen hatte die Bewohner von Nunkirchen
in den Zustand einer hastigen Betriebsamkeit ver»
setzt. Als sei ihnen die Gabe der Feldherrnkunst
zu eigen, wußten sie genau, daß die feindlichen
Soldatenvölker der Schweden und Franzosen den
Weg durch das Primstal nehmen mußten, um dann
dem Lauf der Nied folgend, einigermaßen unge»
fährdet französischen Boden zu erreichen. Jeden
anderen Weg hatten ihnen die kaiserlichen Trup»
per verlegt.
So hatten denn die Bewohner alle Habe, die sie
mitzunehmen gedachten, vorsorglich verpackt, daß
sie auf einen Zuruf hin sofort aufgenommen wer»
den konnte. Für das Vieh hatte man ebenfalls
schon vorgesorgt. Im längst vorbereiteten Versteck
im tiefen Wald der „Hackenbach" konnten Mensch