Full text: 1960 (0088)

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seinen Augen. Er sank auf 
einen Stuhl. „Ich kann nicht", 
stöhnte er. „Ich kann nicht 
mein Herz verkaufen." 
Als der Knappe am anderen 
Tage vor Ort gehen wollte, 
trat der Steiger zu ihm und 
sagte: „Heute müßt Ihr feiern. 
Ihr habt bloß noch jeden 
zweiten Tag Schicht, und sonn= 
tags seid Ihr auch frei. Da 
könnt Ihr zur Kirche gehen 
und um gut Wetter anhal= 
ten." 
Der Bergmann tappte mit 
schweren Schritten nach Hause. 
Sein Kopf hing ihm vornüber, 
sein Gesicht war fahl, und er 
schien um Jahre gealtert. 
Als er heimkam, erschrak 
seine Frau. „Du bringst nichts 
Gutes!", rief sie, „was ist ge= 
schehen?" Da erzählte der 
Knappe was sich begeben 
hatte und die Frau senkte trau= 
rig den Kopf. 
So ging der Knappe von jetzt ab nur dreimal in 
der Woche zur Schicht. Da wurde der Lohn knapp, 
und die Brotscheiben wurden dünner. Der Hunger 
war manchmal zu Gast, und die Sorge wich nicht 
mehr vom Lager des Knappen. Er mußte sehen, 
wie die Frau schmal wurde, die Kinder Farbe und 
Frohsinn verloren. Da schwur er, das Doppelte zu 
leisten an Arbeit, hämmerte und klopfte und 
schuftete, daß ihm die Hände brannten und das 
Herz wild gegen die Rippen schlug. Spitzer und 
gelber wurde sein Gesicht und sein Gang schwan= 
kend. 
Wieder einmal war er vor Ort. Mit schweren, mü= 
den Schlägen lößte er die Kohle, klopfte und häm= 
merte unaufhörlich. Seine Glieder schmerzten, 
seine Stirn brannte, sein Atem keuchte, und das 
Blut kochte in seinen Adern. Er glaubte, er müsse 
verbrennen. 
Aber er mußte schaffen, mußte — damit seine 
Kinder zu essen hatten. Sein Lohn bemaß sich 
nach der Menge der Kohlen, die er grub. Und der 
Knappe wischte den Schweiß von der Stirn und 
hieb aufs neue ein auf das harte Gestein. Dumpf 
klangen die Schläge in der Enge des Ganges. 
— Tack — tack! Die Kohlenstücke brachen und 
stürzten. Schwarzer Staub wirbelte auf, wogte wie 
ein Schleier vor des Bergmanns Augen. In seinem 
Ohr war ein Rauschen wie von verborgenen Brun= 
nen. Er brach zusammen. 
Da traf ein bekannter Klang des Bergmanns Ohr, 
rief ihn zurück vom Weg ins Vergessen. „Da 
schaffst du und schuftest dich zu Tode, einfältiger 
Narr, und könntest es doch viel besser haben." Es 
kam wie aus weiter Ferne. Der Knappe hob den 
Kopf, und wie durch einen Nebel sah er einen 
Mann mit gelbem Gesicht und stechenden Augen. 
Der Mann blickte zu dem Bergmann herüber und 
sagte: „Schenk' mir dein Herz, so gebe ich dir 
alles, was du brauchst, um glücklich zu sein. Schau 
hinüber zur Wand. Was siehst du, Knappe?" 
„Was ich sehe? Ein stattliches Haus mit hellen 
Fenstern daran." 
„Ja, aber deines ist alt und zerbrechlich, mit Stan= 
gen gebunden und mit Schrauben gehalten." 
„Und was siehst du weiter, Knappe, sag an." „Ich 
sehe um das Haus einen Garten. Bäume stehen 
darin, mit saftigen Früchten behängen, und inmit= 
ten ist eine Laube, von Wein umrankt. Mein 
Weib tritt heraus. Wahrhaftig, sie ist es. Siegleicht 
einer üppig blühenden Rose. Die Kinder sind bei 
ihr. Wie ihre Augen strahlen, ihre Wangen leuch= 
ten!" 
Ein heller Schein glitt über des Knappen Gesicht. 
„Ich zeige dir das Haus von innen", sagte der 
Fremde. „Komm mit." Schlüssel klirrten, ein Schloß 
knarrte, eine Tür flog auf. Ein sonniger Flur führte 
zu einem offenen Raum. 
„Was siehst du hier drinnen?", fragte der Fremde. 
„Eine Stube sehe ich, hoch und geräumig, voll Licht 
und himmlischer Helle."
	        
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