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wo es auf die flinken Füß‘ ankommt, nimmt es
sobald nicht einer mit ihm auf.
Der Omasbauer hat Glück im Unglück: Der
Gustl läuft ihm gerade in die Hände. „Schleun‘
dich, Gustl, soviel du kannst. Soll dein Schaden
nicht serin. Wirst sehen, auf ein Maß Bier kommt
mir's diesmal nicht an!“
Der Gustl schiebt das Rezept in die Tasche,
und wie ein Bolzen schießt er davon. Wie er
in den Flecken hineinsetzt und beim Ochsenwirt
um den Laternenpfahl herumkommt, zuckt eben
der Schwenko, was der Fleckenschneider ist, von
seiner Nadel empor. Einen blitzkurzen Blick
schmeißt er durchs Fenster, und den Gustl er
wischt er gerade noch bei seiner Menschheit.
„Der Zaumstiekl-Custl!“ denkt er. Und ein ganz
inalefizisches Lächeln huscht ihm über die spinn-
webdünnen Schneiderbacken.
Der Apotheker hingegen ist durchaus ernsthaft,
just so, wie sich’s für seinen Stand gebührt. Er
schaut in das Rezept hinein, das der Gustl aus
seinem Kittel herauskramt, läßt sich das von der
Holderlatwerg erzählen, und dann wendet er sich
zu seinen Gläsern und Tiegeln. Zwei Spanschach
teln stellt er bereit, mit einem Spatel streicht er
hier wie dort eine dunkle, zähe Masse hinein,
die Farbe ist so ziemlich dieselbe. Alsdann fährt
er ins Tintengeschirr, beschreibt ein paar kleine,
rote Zettel und klebt sie auf die Spanschachteln.
Zuletzt wickelt er jede in ein glasig krispelndes
Buntpapier hinein. Das Rote, erklärt er dem
Gustl, sei für den Pfeifensterz-Jakl, das Blaue für
den Omasbauern, soll heißen, für sein dämpfiges
Roß.
Der Gustl sagt ja und ja. Und damit schiebt er
die Medizin in seinen Rocksack. Ein ganzer Arz-
neiladen ginge da hinein. Der Rocksack ist boden
los.
Der Schwenko kennt diesen Rocksack, er weiß,
da drinnen hat noch manches Platz. Wie der Gustl
wieder des Weges kommt, steht der Schneider
unter dem Türstock. „Gustl, du hast doch die Gut-
heit!“ ruft er ihn an. Ein paar Restfleck hätt‘ ich
da. Dem Angelbauem gehören sie zu. Gelt, du
magst sie hineintun in deinen Sack!“
Freilich mag es der Gustl. Der Gustl ist ja kein
Unchrist. Auf einen kleinen Gefallen kommt's
ihm ja nicht an. Ohne sich lange zu besinnen,
schiebt er das, was ihm der Schwenko eingeschla
gen in ein trübes Zeitungspapier in die Hände
drückt, arglos zu den Arzneisachen hinein, und
dann trachtet er wieder weiter.
Drinnen im Flecken tut es ein geschwinder, ge
räumiger Schritt. Hernach draußen gibt der Gustl
von Weile zu Weile etwas Dampf zu, und dann
wird es ein zuckender Hundstrab. Da kommt
einem der Schwitz, was kein Wunder ist. Die
Kappe raucht, die Tropfen rennen einem über die
Backen. Das ist nun nicht anders und hat weiter
nichts zu bedeuten. Aber daß es auf einmal unten
zum Kittel hinausbrümelt?
Nicht recht Vorkommen will es dem Gustl.
„Soll mir etwa die Roßsalbe ins Laufen gekom
men sein?“ Mit Grausen fährt er hinein in den
Rocksack. Das Wasser steht ihm drinnen. Heillos
schneekaltes Wasser .Das Papier? Wie eine Kuttel
suppe hängt es ihm an den Fingern. Eine Heiden-
schweinerei! Die Restflecken? Da soll sich einer
noch auskennen! Die Restflecken sind mit keinem
Faden mehr vorhanden. Bei Butz und Stingel
sind sie verschwunden.
Es steht dem Gustl das Maul offen. Die Augen
spreizt er kugelrund. Eine Sinnentrügnis? Dann
geht ihm langsam ein Licht auf. Der Schwenko?
Der Hauptfallot, der verzwimte, hat ihn wieder
einmal zum Narren gehabt. Einen Schnee hat er
ihm hineingetan in das Papier. Bloß ein Glück,
daß die schönen Spanschachteln nicht devastiert
sind.
Es wischt der Gustl mit seinem großen, ge-
steinelten Schneuztuch an den zween Schachteln
herum. Alles in allem schauen sie wieder ganz
reputierlich her. Bloß die Zettel, die roten? Die
Zettel sind in ein Garnichts zerflossen. Hat nichts
weiter zu sagen. Der Gustl hat ein starkes Gott
vertrauen; solch ein Batzenlippel, wie der
Schwenko, macht ihm das Hirn sobald nicht durch
einander. Er bringt seine Sachen schon wieder in
Schwang und Gang.
Der Gustl macht kurzerhand Halbscheid. Ein
Schächtlein in den Hosensack links. So. Das war’
für den Pfeifensterz-Jakl. Und dann ein Schächt
lein in den Hosensack rechterhand. Und das ge
bührt dem Roß. Wer’s dem Gustl eingegeben, daß
er die Medizin just auf diese Weise verteilte?
Wer? Wer? Es gibt einen schönen Glauben auf
der Welt: Geht es gut hinaus, nennt man’s Vor
sehung. Läuft es anders? Nun ja!
*
Andern Tags, ungefähr um dieselbe Zeit, tut
das teure Roß des Omasbauern seinen letzten
Seufzer. Hin ist’s. Unwiderruflich hin. Der Omas
bauer schießt wie ein Horniß umeinander, flucht,
daß die Fenster scheppern und der Himmel er-
sehwarzen mödit’. Ein Gefrieß schneidet er, wie
ein Drachenmetzger. „Der Viehdoktor, der donner-
schläehtige! All mein Lebtag kommt er mir nicht
mehr ins Haus!“
Der Pfeifensterz-Jakl hingegen ist munter und
rührig wie ein Backfisch. „Ja, der Herr Apotheker,
der versteht es halt, was der Mensch braucht in
seinen Gebresten! Scharf ist sie gewesen, die
Holderlatwerg, sakermentisch scharf! Aber ihre
Schuldigkeit hat sie getan, ihre Schuldigkeit.“
Und der Jakl findet, das wäre' die Hauptsache.
Jetzt steht er auf seinem Höflein hinter dem Haus.
Schlohweiß hängt ihm der Haarwisch unter der
Kappe hervor, hüben und drüben bei den Ohren.
Gutding achtzig Jahre ist er alt, aber da steht er
wäe ein Junger, hat blanke Augen und pfeift.
Einen Fuchsdreck schert er sich um alle Hefen-
knöpf’ auf der Welt. Er nimmt sein Beil zur Hand
und kliebt Fichtenstöcke.