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Diese harten Worte wirkten Wunder. Michael
versuchte sein Können an einem neuen Stück. Er
begann einen Pokal zu formen, mit dem er seine
Künstlerschaft dartun wollte. Es war wirklich ein
Prachtstück in Form und Muster und weit kunst
reicher als die Schale es gewesen. Sie mußte wohl
wirklich zugrunde gehen, damit er etwas viel Bes
seres an ihre Stelle setzte. Und so söhnte er sich
innerlich aus mit ihrem Verlust, und ihm schien,
seine Mutter habe doch Recht gehabt, und jene
solange betrauerten Scherben hätten letzten En
des doch Glück bedeutet. Der Meister Hilde
brand war überrascht von der Schönheit des Po
kals. Er fand ihn klassisch schön und wollte ihn
für besondere Zwecke bereithalten. Aber ein
dunkles Gefühl in Michael sträubte sich dagegen.
Da überfiel Michael plötzlich die Erinnerung
an den reichen Kaufherrn, jenen freundlichen Gön
ner der ihn mit einem Schreiberposten hatte er
freuen wollen. Ihm wollte er den Pokal verehren.
Denn war er, Michael, nicht in seiner Schuld, da
er ihn durch sein ablehnendes Verhalten gewiß
gekränkt hatte? Und er erzählte Hildebrand ganz
offen, was er vorhatte. Der nickte nur und
lächelte geheimnisvoll.“ Ich kenne deinen Gön
ner“, sagte er beiläufig, „und du tust wohl gut
daran, ihm dieses wahrhaft vollkommene Stück
zu schenken. Man kann nicht wissen, wozu es gut
ist. Vielleicht haben die Scherben jener Schale
doch dein Glück bedeutet. Ich gebe dir ein
Schreiben mit an den alten Herrn.“
Michael nickte beifällig, obwohl ihm unerklär
lich war, was das Schreiben bezwecken sollte.
Geschäftliche Spekulationen waren ihm völlig
fremd.
Am darauffolgenden Sonntag reiste er nun zu
seinem väterlichen Freund. Der alte Herr kam
aus dem Staunen kaum heraus, als Michael den
Pokal aus seiner papierenen Hülle löste.“ Das ist
ja ein Kunstwerk, ein Kunstwerk ersten Ranges“
rief er, „so vollendet in der Form und von so
edlen Massen. Es könnte aus einem veneziani
schen Museum stammen. Junge, Junge, du bist
ein Künstler. Du bist wahrhaftig ein Künstler!
Ein Glück nur, daß du den schäbigen Schreiber-
posten, den ich dir seinerzeit anbot, abgelehnt
hast.“ Er packte Michael an beiden Schultern und
drückte ihn in einen Sessel.“ So — nun erzähle
einmal von deiner Arbeit, von deinem Glase, in
das du so verliebt bist.“
„Bitte einen Augenblick“, sagte Michael und
fuhr mit der Hand in die Tasche seiner Joppe.
Ich habe da ein Schreiben an Euch vom Meister
Hildebrand,“ und er reichte den Brief hin.
„Aha, vom Hildebrand! Er ist ein Künstler, und
ein sauberer Charakter, die Selbstlosigkeit in Per
son. Daß es heutzutage noch solche Geister gibt,
ist ein reines Wunder.“ Umständlich öffnete er
den Brief. Schmunzelnd las er ihn und nickte da
zu immer wieder mit dem Kopfe. Dann steckte
er ihn bedächtig in die Rocktasche. „Hm — was
der Hildebrand mir da vorschlägt, spukt auch
mir im Kopf herum,“ und auf Michaels fragen
der Blick, sagte er, dem jungen Mann mit jovi
aler Freundlichkeit auf die Schulter klopfend:
„Also ich nehme das Geschenk an. Michael, aber
du mußt mir erlauben, daß ich dir ein Gegen
geschenk mache. Wie mir der Meister schrieb,
wird dein Bruder Franz bald auf seinen Posten
zurückkehren. Du bist dann frei. Als Gehilfe
wirst du doch wohl nicht mehr in der Glasfabrik
arbeiten wollen, nachdem du bereits den Meister
gespielt hast. Also kurz und gut: ich habe die
Absicht, dich auf eine Schule zu schicken. Dort
wirst du dir das Rüstzeug holen für einen ge
hobenen Beruf in der Glasmacherei. Das Glas
macherhandwerk steht vor großen Umwälzungen.
Es wird nach und nach mechanisiert werden. Ma
schinen werden die edle Handarbeit verdrängen,
wie es da und dort, besonders aber im Ausland,
bereits geschieht, Auf der Schule nun sollst du
gewappnet werden für das kommende Neue. Es
gefällt mir zwar wenig, dieses Neue, aber es wird
nicht aufzuhalten sein. Er seufzte. „Also bist du
einverstanden, daß ich dich studieren lasse.?“
Das war zuviel des Unerwarteten und Außer
gewöhnlichen, das da wie ein Sturzbach über
Michael hereinbrach. Er fand zuerst keine Worte.
Sein Blick kreiste wie hilfesuchend um den Po
kal, als suche er bei ihm Rat und Zuspruch. Un
ter dem Zauberbann seines Glänzens und Glei-
ßens kam ihm die Erleuchtung. „Verzeiht Herr“,
sagte er endlich, daß ich so lange brauchte, Euch
Antwort zu geben. Aber nun ist sie mir ge
worden. Eure Güte gab sie mir ein und jener
dort, der Pokal. Und so wird es denn richtig sein,
daß ich studiere. O — ich danke Euch, Herr, daß
Ihr miT helfen wollt, es zu etwas Rechtem zu
bringen.“
Michaels Augen leuchteten. Aber plötzlich er
losch ihr Glanz. „Doch die Sache mit den Ma
schinen Herr, die will mir nicht recht gefallen.“
Ich glaube, ich finde, es erniedrigt die Arbeiter,
ich meine hier die Glasbläser, wenn an Stelle
ihres Geistes, ihres schöpferischen Atems und
ihrer geschickten Hände nun Maschinen, tote
Dinge aus Eisen, treten sollen, die ihre Arbeit
verrichten. Wird da nicht der Mensch ein Diener
der Maschine wo er doch der Herr sein soll über
die Dinge. Verliert die Arbeit, die von Maschinen
getan wird, nicht von ihrem Wert? Sie wird Mas
senarbeit, so will mir's scheinen.“
Betroffen sah der alte Herr Michael in das
vom Eifer gerötete Gesicht. „Mir scheint, du hast
nicht ganz unrecht mein Junge“ sagte er, „denn
auch ich fürchte das Gleiche. Aber geschickte
Meister und wahre Künstler wird man trotz der
Maschine auch in Zukunft braudien. Sie sind die
Herren über das tote Material und über die Ma
schine. Darum Mut gefaßt, junger Freund und
mit Volldampf hinein ins Studium!“
Michael nickte und die Freude breitete sidi
über sein Gesicht wie Sonnenschein.