Full text: 1959 (0087)

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Diese harten Worte wirkten Wunder. Michael 
versuchte sein Können an einem neuen Stück. Er 
begann einen Pokal zu formen, mit dem er seine 
Künstlerschaft dartun wollte. Es war wirklich ein 
Prachtstück in Form und Muster und weit kunst 
reicher als die Schale es gewesen. Sie mußte wohl 
wirklich zugrunde gehen, damit er etwas viel Bes 
seres an ihre Stelle setzte. Und so söhnte er sich 
innerlich aus mit ihrem Verlust, und ihm schien, 
seine Mutter habe doch Recht gehabt, und jene 
solange betrauerten Scherben hätten letzten En 
des doch Glück bedeutet. Der Meister Hilde 
brand war überrascht von der Schönheit des Po 
kals. Er fand ihn klassisch schön und wollte ihn 
für besondere Zwecke bereithalten. Aber ein 
dunkles Gefühl in Michael sträubte sich dagegen. 
Da überfiel Michael plötzlich die Erinnerung 
an den reichen Kaufherrn, jenen freundlichen Gön 
ner der ihn mit einem Schreiberposten hatte er 
freuen wollen. Ihm wollte er den Pokal verehren. 
Denn war er, Michael, nicht in seiner Schuld, da 
er ihn durch sein ablehnendes Verhalten gewiß 
gekränkt hatte? Und er erzählte Hildebrand ganz 
offen, was er vorhatte. Der nickte nur und 
lächelte geheimnisvoll.“ Ich kenne deinen Gön 
ner“, sagte er beiläufig, „und du tust wohl gut 
daran, ihm dieses wahrhaft vollkommene Stück 
zu schenken. Man kann nicht wissen, wozu es gut 
ist. Vielleicht haben die Scherben jener Schale 
doch dein Glück bedeutet. Ich gebe dir ein 
Schreiben mit an den alten Herrn.“ 
Michael nickte beifällig, obwohl ihm unerklär 
lich war, was das Schreiben bezwecken sollte. 
Geschäftliche Spekulationen waren ihm völlig 
fremd. 
Am darauffolgenden Sonntag reiste er nun zu 
seinem väterlichen Freund. Der alte Herr kam 
aus dem Staunen kaum heraus, als Michael den 
Pokal aus seiner papierenen Hülle löste.“ Das ist 
ja ein Kunstwerk, ein Kunstwerk ersten Ranges“ 
rief er, „so vollendet in der Form und von so 
edlen Massen. Es könnte aus einem veneziani 
schen Museum stammen. Junge, Junge, du bist 
ein Künstler. Du bist wahrhaftig ein Künstler! 
Ein Glück nur, daß du den schäbigen Schreiber- 
posten, den ich dir seinerzeit anbot, abgelehnt 
hast.“ Er packte Michael an beiden Schultern und 
drückte ihn in einen Sessel.“ So — nun erzähle 
einmal von deiner Arbeit, von deinem Glase, in 
das du so verliebt bist.“ 
„Bitte einen Augenblick“, sagte Michael und 
fuhr mit der Hand in die Tasche seiner Joppe. 
Ich habe da ein Schreiben an Euch vom Meister 
Hildebrand,“ und er reichte den Brief hin. 
„Aha, vom Hildebrand! Er ist ein Künstler, und 
ein sauberer Charakter, die Selbstlosigkeit in Per 
son. Daß es heutzutage noch solche Geister gibt, 
ist ein reines Wunder.“ Umständlich öffnete er 
den Brief. Schmunzelnd las er ihn und nickte da 
zu immer wieder mit dem Kopfe. Dann steckte 
er ihn bedächtig in die Rocktasche. „Hm — was 
der Hildebrand mir da vorschlägt, spukt auch 
mir im Kopf herum,“ und auf Michaels fragen 
der Blick, sagte er, dem jungen Mann mit jovi 
aler Freundlichkeit auf die Schulter klopfend: 
„Also ich nehme das Geschenk an. Michael, aber 
du mußt mir erlauben, daß ich dir ein Gegen 
geschenk mache. Wie mir der Meister schrieb, 
wird dein Bruder Franz bald auf seinen Posten 
zurückkehren. Du bist dann frei. Als Gehilfe 
wirst du doch wohl nicht mehr in der Glasfabrik 
arbeiten wollen, nachdem du bereits den Meister 
gespielt hast. Also kurz und gut: ich habe die 
Absicht, dich auf eine Schule zu schicken. Dort 
wirst du dir das Rüstzeug holen für einen ge 
hobenen Beruf in der Glasmacherei. Das Glas 
macherhandwerk steht vor großen Umwälzungen. 
Es wird nach und nach mechanisiert werden. Ma 
schinen werden die edle Handarbeit verdrängen, 
wie es da und dort, besonders aber im Ausland, 
bereits geschieht, Auf der Schule nun sollst du 
gewappnet werden für das kommende Neue. Es 
gefällt mir zwar wenig, dieses Neue, aber es wird 
nicht aufzuhalten sein. Er seufzte. „Also bist du 
einverstanden, daß ich dich studieren lasse.?“ 
Das war zuviel des Unerwarteten und Außer 
gewöhnlichen, das da wie ein Sturzbach über 
Michael hereinbrach. Er fand zuerst keine Worte. 
Sein Blick kreiste wie hilfesuchend um den Po 
kal, als suche er bei ihm Rat und Zuspruch. Un 
ter dem Zauberbann seines Glänzens und Glei- 
ßens kam ihm die Erleuchtung. „Verzeiht Herr“, 
sagte er endlich, daß ich so lange brauchte, Euch 
Antwort zu geben. Aber nun ist sie mir ge 
worden. Eure Güte gab sie mir ein und jener 
dort, der Pokal. Und so wird es denn richtig sein, 
daß ich studiere. O — ich danke Euch, Herr, daß 
Ihr miT helfen wollt, es zu etwas Rechtem zu 
bringen.“ 
Michaels Augen leuchteten. Aber plötzlich er 
losch ihr Glanz. „Doch die Sache mit den Ma 
schinen Herr, die will mir nicht recht gefallen.“ 
Ich glaube, ich finde, es erniedrigt die Arbeiter, 
ich meine hier die Glasbläser, wenn an Stelle 
ihres Geistes, ihres schöpferischen Atems und 
ihrer geschickten Hände nun Maschinen, tote 
Dinge aus Eisen, treten sollen, die ihre Arbeit 
verrichten. Wird da nicht der Mensch ein Diener 
der Maschine wo er doch der Herr sein soll über 
die Dinge. Verliert die Arbeit, die von Maschinen 
getan wird, nicht von ihrem Wert? Sie wird Mas 
senarbeit, so will mir's scheinen.“ 
Betroffen sah der alte Herr Michael in das 
vom Eifer gerötete Gesicht. „Mir scheint, du hast 
nicht ganz unrecht mein Junge“ sagte er, „denn 
auch ich fürchte das Gleiche. Aber geschickte 
Meister und wahre Künstler wird man trotz der 
Maschine auch in Zukunft braudien. Sie sind die 
Herren über das tote Material und über die Ma 
schine. Darum Mut gefaßt, junger Freund und 
mit Volldampf hinein ins Studium!“ 
Michael nickte und die Freude breitete sidi 
über sein Gesicht wie Sonnenschein.
	        
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