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Die Bergeförderung nach der Halde
Betrieb und Einrichtung der Bergehalde Viktoria
Von Masch.-Fahrsteiger Erich Zimmer
Es war im Sommer einige Dahre vor dem
ersten Weltkrieg, als ich als junger Volks
schüler wieder einmal von Friedrichsthal nach
Bildstock ging, um hier bei Bäcker Frank ein
Brot zu kaufen. Da, einmal in der Woche war
das bei uns so Brauch, denn dieses Brot war
gut. Heiß schien die Sonne vom blauen Him
mel. Durch Buchenwald führte mein Umweg
hinter der Wohnung von Bergrat Giani vorbei
nach Bildstock. Dort, wo hinter der oberen
Schachtanlage Helene, bei dem früheren Kom
pressorhaus, die Seilbahn nach der Berge
halde die Umzäunung verließ, standen schöne
Buchen bis dicht an die Gleise heran, ein für
eine kleine Marschpause ideal geeignetes
Ruheplätzchen.
Die Grubenwägelchen im Abstand von eini
gen zehn Metern, am Seil geführt, zogen fried
lich ihre Bahn, die beladenen nach oben, die
leeren nach unten, die Schienenübergänge
rhythmisch anzeigend. Gruben- und Wald
romantik dicht beieinander — das war etwas
für eines Dungen Auge und Gemüt.
In etwas größeren Abständen bemerkte ich,
daß noch mehrere andere Dungens, näher am
Gleis, interessiert den Lauf der Wägelchen
verfolgten. Dugendliche Betrachtungen wur
den angestellt, sogar Gedanken frevliger Art
wurden scheu geboren und schnell wieder ver
worfen, und doch blieb beim ängstlichen Ab
tun dieser Gedanken etwas hängen.
Da — die jugendlichen Vorstellungen, die
eben noch durch den Kopf jagten, waren
plötzlich Wirklichkeit geworden! Ein Auf-
Wägelchen ging nach vorne in die „Knie",
wurde seillos, lief polternd rückwärts auf das
ihm folgende auf. Dann ging es mit doppelter
Kraft rückwärts auf das dritte Wägelchen los.
Auch dieses machte alsbald Kurswechsel, bis
nach kurzer Zeit ein Haufen umgekippter und
ramponierter Bergewagen, jetzt auch von Leu
ten aus der Förderung erspäht, das Zeichen
zum Halt gab. Kräftige Männer mit lauten
Stimmen rückten an, besahen sich das Durch
einander und begannen mit den Aufräumungs
arbeiten. Bald tauchten auch Grubenwächter
und Aufsichtspersonen auf. Nach kurzer Ver
handlung sah ich die Dungens, vom Wächter
geführt, in die Anlage eintreten. Ich hatte Mit
leid mit den Dungens — aber warum? Sollte
die Entgleisung mit ihnen Zusammenhängen?
Konnte ein Stück Holz vom nahen Buchenwald
heruntergefallen oder von Bubenhand aufs
Gleis gelegt worden sein? Wer weiß! Später
erfuhr ich, daß die Buben bis zum Obersteiger
Dakobs gebracht worden waren, der sie ver
hörte, aber dann mangels Beweises wieder
entlassen mußte. Im übrigen konnte ja so ein
hölzerner 550 Liter-Wagen mit schmalem Rad
lauf auf einer alten 11 kg-Schiene leicht ent
gleisen. —
Zu jener Zeit konnte ich noch nicht ahnen,
daß ich einmal ein Arbeitsleben lang mit der
Bergeförderung und deren Sicherung gegen
Störungen als Steiger, als Fahrsteiger und als
stellvertretender Werkmeister zu tun haben
sollte.
Nun bin ich seit 1930 auf Grube Viktoria. Da
mals waren die Einrichtungen der Bergeför
derung nach der Halde noch nicht so modern
wie heute. Eine ansteigende Kettenförder
bahn von 400 m Länge und 6 Grad Steigung
mit elektrischem Antrieb und den damals noch
üblichen Holzfutter-Antriebsscheiben brachte
die Bergewagen — ca. 800 pro Schicht — von
der Hängebanksohle nach dem Fuß der Berge
halde rund 31 m höher. Von hier gingen die
750-Liter-Förderwagen mittels Seilbahn, Seil
schlössern, Seil- und Kurvenrollen auf Gleisen
von 725 mm Spur hoch bis zu den Abladestel
len. Dieses waren horizontal liegende Büh
nen aus Eisenkonstruktion, die vorne auf
einem Quervorleger je einen Kreiselwipper
trugen. Die Förderwagen wurden um ihre
Längsachse gedreht und entleert. Auch Hilfs-
aussturzstellen waren eingerichtet. Sie trugen
Kopfwipper, welche weniger Raum bean
spruchten. Hier wurde der Förderwagen über
Kopf gestürzt und somit entleert.
Stahlgliederbänder und Gummitransport
bänder an Endstation Förderkette lösten die
Seilbahn ab. Auch hier traten beachtliche
Störungen auf, zumal mit dem immer mehr
mechanisierten Untertagebetrieb die Berge
stücke bemerkenswerte Größen annahmen.
Ich erinnere mich noch daran, daß in diesem
Zusammenhang einmal das Wort „Gollen-
steine gefallen ist. Sturm, Schnee, Frost und
Wolkenbrüche sorgten im übrigen dafür, daß
der Haldenbetrieb nicht einförmig wurde.
1948 trat dann eine massive Neuerung im
Haldenbetrieb ein. Die Firma Ernst Heckei,
Saarbrücken, baute für Viktoria eine neuzeit
liche Hochsturzanlage, die bis zum heutigen
Tage sehr zufriedenstellend den Bergestrom