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sät. Doch die Mutter achtete nicht darauf. Un
verdrossen schritt sie bergan, obwohl ihre Füße
sie so schmerzten, daß sie fast nicht weiter
konnte. Aber der Gedanke an ihr Kind trieb sie
weiter vorwärts. Endlich erreichte sie den Gip
fel, aber das Kraut sah sie nicht. Drei Tage lang
suchte sie es unter den andern Kräutern, und
endlich, als es schon dunkel wurde, entdeckte
sie es. Schnell nahm sie eine Handvoll der zart
grünen Blätter und eilte, ohne zu zögern, den
selben Weg, den sie gekommen, zurück.
Zu Hause angekommen, kochte sie, obwohl sie
todmüde war, noch den Tee für ihr Kind und
reichte ihm das Getränk. Dann aber fiel sie in
einen tiefen, tiefen Schlaf und wurde erst wach,
als die Sonne schon hoch am Himmel stand und
eine helle Kinderstimme rief: „Zieh mich an,
Mutter, ich will aufstehen, ich habe Hunger!"
Von dem Tage an war das Kind wieder fröh
lich und gesund und niemand war glücklicher
als die Eltern. Des Vaters Herz aber hatte sich in
der sorgenschweren Zeit gewandelt. Es war hin
fort offen für die Nöte anderer Menschen, er gab
den andern, was er konnte. Wo er aber ein
hungerndes Kind sah, sorgte er für es, bis es
groß und stark war und selbst sein Brot ver
dienen konnte.
Von Werner Jakobi
Vor vielen Jahren war der Südwind einmal
aus Neugier ins weiße Schloß der Schneekönigin
geschlüpft. Er fegte durch alle Räume und be
staunte die kristallene, glitzernde Pracht. Ge
rade als er im Eiskeller war, schlug hinter ihm
die Tür ins Schloß und fror augenblicklich so
fest zu, daß es für ihn unmöglich war, sie wie
der aufzudrücken. — „Ach,“ stöhnte er, „warum
mußte ich auch so neugierig sein? Was wird jetzt
König Lenz ohne mich anfangen?"
Da hörte es der Südwind vor der Eiskeller
tür laut und schallend lachen: „Haha! Hihi!
König Lenz wird dich niemals mehr sehen! Aus
ist es mit seiner Herrschaft auf Erden! Hahaha!
Eiskönigin und König Frost werden jetzt sehr
froh sein, wenn ich ihnen erzähle, daß du, Süd
wind, auf ewig gefangen sein wirst. Auf Wieder
sehen! Aber erst, wenn du eiskalt bist! Hohoho!"
Dann sauste es und brauste es noch einmal —
und schließlich wurde es im Eisschloß ganz still.
Dem Südwind lief es eiskalt den Rücken hin
unter: Das war der Nordwind, sein größter
Feind, und was der sagte, das machte er mei
stens wahr. — Der Nordwind aber fuhr höhnisch
lachend auf die Erde und brachte seinem weißen
Königspaar die Neuigkeit. Ach, wie freuten sich
die beiden, denn nun konnten sie ewig ihre kal
ten, weißen Teppiche auf der Erde ausbreiten.
Sie brauchten keine Angst mehr vor König Lenz
zu haben, denn hatte er den Südwind nicht, so
war er machtlos.
Ein kleiner Vorbote des Frühlings aber, der
trotz Schnee und Eis aus der Erde herausspitzte,
hatte die Neuigkeit mit angehört. Es war das
Schneeglöckchen.
„Da muß ich unbedingt helfen", sagte es.
Schnell verkündete es im Blumenland unter der
Erde: „Unser Freund, der Südwind ist im Eis
schloß gefangen! Wir müssen ihm helfen!"
Und nun begann es unter der Erde lebendig
zu werden. Tausend Blumen flüsterten sich die
Nachricht zu. Und so hörte es auch König Lenz
in seinem Blumenschloß. Schnell nahm er sei
nen Zauberstab und einen Schlüsselbund von
Himmelsschlüsselchen und eilte zum Schloß der
Schneekönigin, Dort machte er sich unsichtbar
und suchte seinen Südwind. Nach langem Su
chen hörte er ihn hinter der festverschlossenen
Eiskellertür stöhnen. Schnell nahm König Lenz
ein Himmelsschlüsselchen und eins . . . zwei ...
drei ... war der Südwind wieder frei! Nun aber
beeilte er sich, auf die Erde zu kommen, denn
dort wartete man schon lange auf ihn.
Da, eines Morgens wurde es der Schnee
königin und dem König Frost sehr warm in
ihrem Pelz und sie fingen an zu schwitzen. Als
sie sich erstaunt ansahen, rief ihnen der Nord
wind zu: „Der Südwind! Rettet euch!" Schnell
packten sie ihre weißen Gewänder und ihren
Eismalkasten ein und liefen dem Nordwind nach.
Es war auch wirklich höchste Zeit. Die Früh
lingssonne brannte ihnen schon auf den Rücken
— hinter ihnen läuteten tausend Schneeglöck
chen, Stare, Schwalben, Lerchen, Amseln und
Finken machten fröhliche Musik, denn die Erde
war endlich von Schnee und Eis befreit. Lachend,
mit einem Strauß am Hut, hielt König Lenz sei
nen Einzug. Freudig begrüßten ihn die Men-
sc ^ en: „Es tönen die Lieder,
der Frühling kehrt wieder!"
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