Full text: 1958 (0086)

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Ohne Zaum und Zügel 
Von Walter Albrecht 
A ls es noch keine Autos und keine Maschi 
nen gab, da war das Pferd überall der 
wertvollste Helfer des Menschen. Pferde 
mußten ihm seinen Acker pflügen, sein Kom 
dreschen und das Mehl mahlen. Sie mußten 
schwerbeladene Lastwagen ziehen und im dunk 
len Schoß der Erde nützliche Dienste leisten. 
Reiche Leute hatten zwei oder gar vier Pferde, 
die spannten sie dann vor ihre feinen Kutschen 
und ließen sich stolz in flottem Tempo durch die 
Stadt fahren. Gegenüber unserem Auto blieb 
aber doch selbst das schnellste Viergespann eine 
Schneckenpost! Die Menschen von früher hatten 
eben viel Zeit und außerdem wußten sie nicht 
besser. 
Und heute? Der Großstadtmensch bekommt 
nicht oft ein Pferd zu Gesicht. Tatsächlich ist 
solch ein braver Kumpan, der unverdrossen sei 
nen vollgeladenen Bierwagen oder den Hoch 
zeitsfiaker hinter sich zieht, in unseren Tagen 
schon manchmal ein lästiges Verkehrshindernis 
in der Stadt geworden; besonders, wenn es sich 
um enge Einbahnstraßen handelt, hilft das unge 
duldigste Hupen der Autofahrer nichts — in die 
sem Falle müssen sich 100 Pferdestärken einmal 
nach der einzigen richten, die da vor ihnen da 
hertrottet. Ja, aus der Großstadt wird das Pferd 
immer mehr verdrängt, aber das schadet nichts, 
auf dem Stadtpflaster hatte es ohnehin kein an 
genehmes Dasein. Aber aufs Land gehört das 
brcve Tier heute noch; dort ist es verbunden mit 
Mensch und Natur. Es muß schwer arbeiten, aber 
es wird nicht als Sklave des Menschen betrach 
tet, sondern als Hausgenosse, der für seine Lei 
stung gutes Futter und sorgfältige Pflege ver 
dient. Man gönnt ihm auch gerne einen Ruhe 
tag. Auf der Weide Pferde zu betrachten ist ein 
Genuß! Ausgelassen springt das Fohlen herum 
und erprobt seine erwachende Kraft. Es darf sich 
noch vollster Freiheit erfreuen, bis es ganz aus 
gewachsen und arbeitsfähig ist. Ergreifend ist 
das Bild der Geruhsamkeit, wenn die Getreuen 
schicksalsverbunden ihre Köpfe zusammenstek- 
ken oder in dem erfrischenden Wasser der 
Tränke dicht beieinander stehen, auch wenn es 
sich nur um breitgebaute, starkknochige Acker 
gäule handelt, längst nicht so vornehm wie die 
eleganten, schnittigen Reitpferde, die aristokra 
tischen Vollblüter. 
übrigens gehören die Vollblüter zum sogenann 
ten Warmblut. Die Bezeichnung hat nichts zu 
tun mit der Temperatur des Blutes. Sie deutet 
vielmehr das Temperament und den Schlag des 
Pferdes an. Unter einem Kaltblut versteht man 
ein schweres, starkes Arbeitspferd, ein Schritt 
pferd; im Gegensatz dazu ist das Warmblutpferd 
ein Laufpferd. Das Verhältnis der einzelnen 
Pferderassen untereinander hat sich in Deutsch 
land nach und nach verschoben. 
Während in den neunziger Jahren der über 
ragende Teil (zwei Drittel) der deutschen Pferde 
Warmblüter waren, wurde nach den Kriegen in 
folge intensiv betriebener Wirtschaftsmethoden 
das schwere, zugkräftige, ruhige Kaltblut in 
Landwirtschaft und Industrie bevorzugt. So hal 
ten sich heute Warmblut und Kaltblut in 
Deutschland die Waage. Jedes ist dort zu finden, 
wohin es nach Boden, Klima und wirtschaft 
lichen Verhältnissen gehört. 
Die deutsche Pferdehaltung und Pferdezucht 
war und ist vorbildlich für die Welt. Noch ist 
das Pferd in Deutschland die stark beanspruchte 
Arbeitskraft, auf die man sich verlassen kann. 
Es ist und bleibt des Bauern wertvollste Stütze. 
Wo die Maschine versagt, ist das Pferd stets der 
Retter. Das Ziehen der Wagen zum Dungfahren, 
zum Einholen von Korn und Heu sowie zum 
Pflügen kurzer Strecken, bei dem das Wenden 
des Motorpfluges umständlich ist, die mannig 
fachen Saatarbeiten u. a. m. werden dem Pferd 
immer als wichtigste Aufgabe Vorbehalten 
bleiben. 
Pferde auf der Weide — ein Bild der Geruhsamkeit
	        
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