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Ohne Zaum und Zügel
Von Walter Albrecht
A ls es noch keine Autos und keine Maschi
nen gab, da war das Pferd überall der
wertvollste Helfer des Menschen. Pferde
mußten ihm seinen Acker pflügen, sein Kom
dreschen und das Mehl mahlen. Sie mußten
schwerbeladene Lastwagen ziehen und im dunk
len Schoß der Erde nützliche Dienste leisten.
Reiche Leute hatten zwei oder gar vier Pferde,
die spannten sie dann vor ihre feinen Kutschen
und ließen sich stolz in flottem Tempo durch die
Stadt fahren. Gegenüber unserem Auto blieb
aber doch selbst das schnellste Viergespann eine
Schneckenpost! Die Menschen von früher hatten
eben viel Zeit und außerdem wußten sie nicht
besser.
Und heute? Der Großstadtmensch bekommt
nicht oft ein Pferd zu Gesicht. Tatsächlich ist
solch ein braver Kumpan, der unverdrossen sei
nen vollgeladenen Bierwagen oder den Hoch
zeitsfiaker hinter sich zieht, in unseren Tagen
schon manchmal ein lästiges Verkehrshindernis
in der Stadt geworden; besonders, wenn es sich
um enge Einbahnstraßen handelt, hilft das unge
duldigste Hupen der Autofahrer nichts — in die
sem Falle müssen sich 100 Pferdestärken einmal
nach der einzigen richten, die da vor ihnen da
hertrottet. Ja, aus der Großstadt wird das Pferd
immer mehr verdrängt, aber das schadet nichts,
auf dem Stadtpflaster hatte es ohnehin kein an
genehmes Dasein. Aber aufs Land gehört das
brcve Tier heute noch; dort ist es verbunden mit
Mensch und Natur. Es muß schwer arbeiten, aber
es wird nicht als Sklave des Menschen betrach
tet, sondern als Hausgenosse, der für seine Lei
stung gutes Futter und sorgfältige Pflege ver
dient. Man gönnt ihm auch gerne einen Ruhe
tag. Auf der Weide Pferde zu betrachten ist ein
Genuß! Ausgelassen springt das Fohlen herum
und erprobt seine erwachende Kraft. Es darf sich
noch vollster Freiheit erfreuen, bis es ganz aus
gewachsen und arbeitsfähig ist. Ergreifend ist
das Bild der Geruhsamkeit, wenn die Getreuen
schicksalsverbunden ihre Köpfe zusammenstek-
ken oder in dem erfrischenden Wasser der
Tränke dicht beieinander stehen, auch wenn es
sich nur um breitgebaute, starkknochige Acker
gäule handelt, längst nicht so vornehm wie die
eleganten, schnittigen Reitpferde, die aristokra
tischen Vollblüter.
übrigens gehören die Vollblüter zum sogenann
ten Warmblut. Die Bezeichnung hat nichts zu
tun mit der Temperatur des Blutes. Sie deutet
vielmehr das Temperament und den Schlag des
Pferdes an. Unter einem Kaltblut versteht man
ein schweres, starkes Arbeitspferd, ein Schritt
pferd; im Gegensatz dazu ist das Warmblutpferd
ein Laufpferd. Das Verhältnis der einzelnen
Pferderassen untereinander hat sich in Deutsch
land nach und nach verschoben.
Während in den neunziger Jahren der über
ragende Teil (zwei Drittel) der deutschen Pferde
Warmblüter waren, wurde nach den Kriegen in
folge intensiv betriebener Wirtschaftsmethoden
das schwere, zugkräftige, ruhige Kaltblut in
Landwirtschaft und Industrie bevorzugt. So hal
ten sich heute Warmblut und Kaltblut in
Deutschland die Waage. Jedes ist dort zu finden,
wohin es nach Boden, Klima und wirtschaft
lichen Verhältnissen gehört.
Die deutsche Pferdehaltung und Pferdezucht
war und ist vorbildlich für die Welt. Noch ist
das Pferd in Deutschland die stark beanspruchte
Arbeitskraft, auf die man sich verlassen kann.
Es ist und bleibt des Bauern wertvollste Stütze.
Wo die Maschine versagt, ist das Pferd stets der
Retter. Das Ziehen der Wagen zum Dungfahren,
zum Einholen von Korn und Heu sowie zum
Pflügen kurzer Strecken, bei dem das Wenden
des Motorpfluges umständlich ist, die mannig
fachen Saatarbeiten u. a. m. werden dem Pferd
immer als wichtigste Aufgabe Vorbehalten
bleiben.
Pferde auf der Weide — ein Bild der Geruhsamkeit