Full text: 1958 (0086)

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*^ie bekannteste Dillinger Volkssage ist die 
/J von der eingemauerten „Weißen Frau" im 
Alten Schloß der Hüttenstadt. Nach der 
Überlieferung will man im Hofe des Alten 
Schlosses oft eine „helle" Gestalt gesehen haben, 
die weinend und klagend in einem Ecktürm 
chen (nach anderen Berichten in der Schloß 
kapelle) verschwand. Der Volksmund begründet 
diese Erscheinung damit, daß einer der Ritter 
der Baronie Dillingen eine wunderschöne Frau 
gehabt haben soll, die er zur Strafe für began 
gene Untreue oder unehrenhaftes eheliches Ver 
halten lebendig in jenem halbrunden Ecktürm 
chen einmauern ließ. Seitdem geistert die Ärmste 
nachts als „Weiße Frau". Diese Sage wird in ver 
schiedener Fassung erzählt. 
Man ist nun als Sagensammler versucht, dem 
Kern bzw. dem Entstehen dieser Volksüberlie 
ferung nachzuspüren. Geht man dabei die Ge 
schlechter der uns bekannten Dillinger Regenten 
durch, so findet man allerdings nur eine histo- 
Seitdem geistert die Ärmste nachts als 
„Weiße Frau" . . . 
rische Persönlichkeit, die in den Augen des Vol 
kes moralisch als treulos so belastet erscheint, 
daß die Bevölkerung ihre „Bestrafung" ge 
wünscht haben mag: Die einzige Herzogin von 
Dillingen, Katharina Kest. Außerdem muß man 
— um dem Sagenkern näher zu kommen — ver 
gleichsweise die vielen ähnlichen Sagen über 
geisternde „Weiße Frauen" unserer Sagenwelt 
heranziehen, denn dann stößt man auf die Ur- 
gestalt" aller weißen Frauen überhaupt, auf die 
Gräfin Katharina von Orlamünde nämlich, das 
„Hausgespenst" der Hohenzollern. 
Katharina von Orlamünde geistert auf Burg 
Lauenstein in Oberfranken, ihrem Witwensitz. 
Sie versuchte jahrelang, den Hohenzollern Al- 
brecht, Burggraf zu Nürnberg, zum Gemahl zu 
gewinnen, wobei sie ihre zwei Kinder tötete, die 
einer Ehe mit dem Nürnberger Burggrafen im 
Wege standen. Katharina von Orlamünde starb 
später elendiglich im Pestlager zu Nürnberg, 
voller Haß auf das ganze Geschlecht der Hohen 
zollern, denen sie seitdem Tod und Verderben 
ankündigt. So zeigte sie in Gestalt einer „Wei 
ßen Frau" im Schlosse von Rudolstadt dem 
preußischen Prinzen Louis Ferdinand seinen Tod 
am 10. 10. 1806 bei Saalfeld an. In dieser Schlacht 
soll sie auch Kaiser Napoleon I. erschienen sein, 
um ihm den Sieg seines Heeres über die Trup 
pen Louis Ferdinands vorauszusagen. Das Er 
scheinen der „Weißen Frau“ wurde damals von 
zeitgenössischen Autoren — und von Militärs! 
— berichtet und kommentiert. 
Nach einer anderen Lesart soll die „Weiße 
Frau" der Hohenzollern der Geist einer Gelieb 
ten eines brandenburgischen Kurfürsten des 16. 
Jahrhunderts sein. Jener Kurfürst habe seine 
Freundin im Jagdschloß Grunewalde lebendig 
einmauern lassen. Seitdem künde sie den Hohen 
zollern Unglück, und es ist interessant, daß diese 
„Weiße Frau" in der Nacht vom 23. auf dem 24. 
Mai 1940 (!) durch das Berliner Schloß gegeistert 
sein soll, wo Passanten sie vom Lustgarten und 
vom Schloßplatz aus beobachtet haben wollen. 
Am 22. Mai 1940 wurde Prinz Wilhelm von Preu 
ßen, ein Sohn des letzten deutschen Kronprin 
zen, an der Westfront bei Valenciennes verwun 
det. Er starb an dieser Verwundung am 25. Mai 
1940. 
Von der hohenzollerischen „Weißen Frau" zu 
unserer Dillinger Sage spannt sich also die 
Brücke einer einheitlichen Idee. Unsere Altvor 
deren hatten keinerlei Verständnis für Untreue 
ehelicher oder allgemeiner Art innerhalb der Fa 
milien ihrer Herrschaften. So nimmt es nicht 
wunder, daß sich in unserem Raum das Volk
	        
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