Full text: 1957 (0085)

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HAUSSCHUHE j’ur <%.• =_ 
Der junge Herr Armander blickte abschätzend 
von einem Schuh zum anderen. „Ich werde die 
grauen oder diese braunen nehmen. Was kosten 
sie?“ 
„Dreitausendneunhundert die grauen, dreitau 
sendzweihundert die —“ 
Da betrat ein Mädeldien den Laden, ging 
schnurstracks zur Verkäuferin und sagte: „Schuhe 
für Papi, bitte, Hausschuhe aus richtigem Leder 
und ganz bequem. Papi muß nämlich immer so 
lange stehen in der Fabrik.“ 
Das Fräulein lächelte. „Hausschuhe für deinen 
Papi willst du kaufen? Ganz allein willst du sie 
aussuchen?“ 
„Ja“, sagte das Kind, „ich habe doch die Größe 
mitgebracht, und es soll eine Überraschung sein“. 
Armander indes hatte sich für die grauen 
Sdiuhe entsdrieden. Gewiß, die braunen waren 
gut, aber das graue Wildleder wirkte viel ele 
ganter. 
„Komm, setz 1 didi hierher“, sagte die Verkäu 
ferin und half dem Mädchen auf einen der Stühle, 
die in langer Reihe standen. Zuerst müsse aber 
der Herr bedient werden. 
Armander sah die Freude und Erregung im 
Gesicht des Mädchens. „Ich möchte, daß Sie das 
Kind nicht warten lassen. 
„Danke“, sagte das Fräulein. Hatten nicht jetzt 
auch ihre Augen einen freudigen Schimmer? 
Die Kleine nestelte an ihrem Kunststoff-Täsch 
chen, aus dem sie ein Stüde Papier zum Vorschein 
brachte. „Hier, die Größe.“ Doch es war keine 
Zahl darauf verzeichnet, sondern die Umrisse 
einer Schuhsohle. 
„Sie hat den alten Haussdiuh aufs Papier ge 
setzt und mit dem Bleistift nachgezeidinet.“ 
„Nein, nicht den Hausschuh“ widersprach das 
EIN SIGELLA-ERZEUGNIS 
daher so gut! 
Mädchen dem jungen Herrn Armander. „Papis 
Haussdiuhe sind sdion lange kaputt. Ich habe 
seine anderen Schuhe genommen. Aber es ist be 
stimmt dieselbe Größe.“ 
Sanft stridi das Fräulein eine Haarsträhne aus 
der Stirn des Kindes. „Gewiß ist es dieselbe 
Größe! Und nun wollen wir mal sehen —“ Sie 
stellte Armanders grauen Wildlederschuh auf das 
Papier und verglich die Sohlengröße mit den 
Bleistiftlinien. „Dreiundvierzig wird es sein. Also 
gut, suchen wir Papi die schönsten Hausschuhe 
aus.“ 
O ja, der Papi würde zufrieden sein. 
Das Fräulein sah auf den Karton. „Elfhundert 
Franken.“ 
„Es sind alles einzelne Franken“ — das Kind 
holte aus der Tasche eine Blechdose hervor — 
„die Lore hat sie gezählt, jedesmal hundert Frau 
ken.“ 
„Hm, demnach sind das vierhundert Franken“. 
Das Fräulein sah ein wenig ratlos aus. 
„Ja, immer hundert Franken“, beteuerte das 
Kind noch einmal, „die Lore ist schon acht und 
kann richtig bis hundert zählen.“ 
„Wer ist denn die Lore“, fragte Armander, nur 
um etwas zu sagen. 
„Lore Mank heißt sie, und für Mank hole ich 
morgens immer die Milch. Die drei Franken, die 
mir der Milchmann zurückgibt, darf ich behalten.“ 
Das Fräulein sah Herrn Armander an. „Über 
vier Monate hat sie zusammengelegt —“ sie 
sprach so leise, daß nur Armander es hören 
konnte. 
Und ebenso leise sagte Armander: „— ja, he 
hat sich die Gebefreudigkeit verdient. Packen sie 
ihr die Haussdiuhe ein und zählen sie den Diffe 
renzbetrag meinen Schuhen zu, den — braunen. 
Das sind dann wieviel?“ 
„Dreitausendneunhundert Franken.“ 
Armander zählte das Geld auf die Theke uni 
ging- 
Die Verkäuferin lächelte und brachte die ele 
ganten grauen Sdiuhe in das Regal zurück. Dann 
dachte sie, ob wohl noch vierhundert Franken in 
ihrer Handtasche wären? 
Ja, und die legte sie in die Ladenkasse. 
„Sind es denn nicht genug Franken?“ fragte 
die Kleine, die lange geduldig gewartet hatte. 
Das Fräulein verschnürte das Päckchen mit den 
Haussdiuhen, dem Kassenzettel und den vier 
hundert Einfrankstücken. 
„Doch mein Kind, es sind genug, es sind viel 
zuviel . . .“
	        
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