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Von Oskar Wachsmuth
An einem schmalen Wege, der durch Feld
einsamkeit aus dem Kessel von Rissent'hal im
Kreise Merzig-Wadern über die Hochfläche nach
dem Pfarrdorf Wahlen führt, liegt eine kleine
Kapelle, die dem Evangelisten Markus geweiht
ist, und die der Bauperiode des Jahres 1868 ent
stammt. Um diese Kapelle aber webt die Ge
schichte das große Geheimnis Wahlens, das bis
heute noch ungelöst ist, soviel sich auch die
Heimatforschung um dieses Problem und seine
Klärung bemühte.
Die Markuskapelle von Wahlen steht nämlich
am Platze einer Wüstung. Auf dem Baugrund
der jetzigen Kapelle stand ursprünglich eine
Kirche, von der 1737 noch verfallene Reste von
Turm und Chor erhalten waren. Der Volksmund
nennt das Gelände um die heutige Kapelle „Ur
wahlen“, denn hier soll das heutige Dorf Wahlen
gelegen haben, ehe es im Dreißigjährigen Kriege
zerstört wurde. Der Streit in der Heimatforschung
geht nun darum, ob es sich bei Urwahlen und
Wahlen um zwei getrennte Dörfer handelt, oder
ob Wahlen aus Urwahlen hervorging — oder
auch umgekehrt. Im Handbuch der Diözese Trier
1952 (S. 855) heißt es: „Während des Dreißig
jährigen Krieges gründeten die überlebenden von
Wahlen eine neue Niederlassung Urwahlen in
der Nähe ihrer alten Heimat." Schulrat Keil da
gegen vertritt in „Geschichte des Kreises Merzig“
(S. 478) den Standpunkt. „Zur Zeit des Dreißig
jährigen Krieges lag das Dorf Wahlen da, wo
heute im Distrikt Urwahlen die Kapelle steht.
Ehe wenigen Überlebenden zogen in das Tal
hinab und gründeten dort die neue Niederlas
sung. Damals standen hier schon einige Gebäude,
die dem Baron von Zandt gehörten.“ Eines dieser
Gebäude, (die alte Schäferei) ist heute noch vor
handen und trägt imTürstedn die Jahreszahl 1634.
Nun suchen wir aber vergeblich die alten Ur
kunden nach einem Dorfe „Urwahlen“, das man
auch als „Orwala“ = Bergdorf oder Oberwahlen,
bezeichnete. Es gelang bisher kein entsprechen
der Nachweis. „Urwahlen“ scheint mir deshalb
lediglich eine Bezeidmung des Volksmundes oder
des Katasters für das im Dreißigjährigen Kriege
zerstörte Mutterdorf, die heutige Wüstung, zu
sein. Die Zerstörung des Dorfes können wir etwa
für 1635 annehmen, und zwar durch jenen be
rüchtigten schwedischen Reitertrupp, der im glei
chen Jahre auch das nahe Niederlosheim dem
Erdboden gleichmachte. Dieser Trupp scheint
als Nachhut zurückflutender Schweden damals das
System der „verbrannten Erde“ vorexerziert zu
haben. Interessant ist dabei, daß im Jahre 1935
schwedische Offiziere (anläßlich ihrer Anwesen
heit als Ordnungstruppen bei der 1. Saarabstim
mung) unter Führung eines Oberstleutnants von
Nordenswan bei Urwahlen nach den „Gräbern
ihrer in einem Gefecht bei Wahlen gefallenen
Ahnen“ suchten. Das Kriegsarchiv in Stockholm
hat freilich 1954 aufgrund einer Anfrage des Ver
eins für Heimatkunde in Merzig mitgeteilt, daß
in den Unterlagen des Archivs über ein Gefecht
bei Wahlen nichts bekannt sei. Diese Auskunft
will mir wenig bedeuten, denn ich weiß zu gut,
daß viele Archive oft nur ungern alles sagen, was
sie wissen. Die Schweden mögen Gründe haben,
zu verneinen. Die schwedischen Offiziere des
Jahres 1935 müssen aber andererseits auch Gründe
gehabt haben, damals bei Wahlen — Urwahlen
zu suchen.
Ich halte es nach allem Für und Wider in der
Heimatliteratur über Wahlen für ziemlich sicher,
daß es nie eine selbständige Siedlung mit dem
Eigennamen „Urwahlen“ gegeben hat, sondern
daß eben dieses sogenannte „Urwahlen“ ganz
einfach Wahlen ist, dessen restliche Bewohner
sich nach einer Katastrophe im Dreißigjährigen
Kriege weiter unten im geschützten Tale ansie
delten. Nach dem Dreißigjährigen Kriege sind ja
viele Dörfer unter dem alten Namen an günstiger
gelegenen Plätzen wieder auf gebaut worden.
Denken wir nur, um einige in diesem Raum zu
nennen, an Hülzweiler, Düppenweiler, Ittersdorf.
Wahlen war ein etwa mittelgroßes Dorf. In allen
uns bekannten Urkunden ist nur von einer Pfar
rei „Wala“ die Rede. Bis 1737 standen Baureste
einer Kirche im Distrikt Urwahlen, die heutige
Pfarrkirche von Wahlen stammt erst aus dem
Jahre 1747. Sie steht an der Stelle einer früheren
Helenenkapelle in Wahlen. Der Taufstein der
Pfarrkirche trägt die Jahreszahl 1630 und wurde
wohl aus der alten Pfarrkirche auf der Hoch
fläche „Urwahlen“ übernommen.
Der Heimatforscher Dr. A. Jacob, Mondorf,
stellt nun aber fest, daß nach einem Bericht des
Pfarrers Petrus Simonis vor dem Visitator im
Jahre 1657, also knapp 10 Jahre nach dem Drei
ßigjährigen Krieg über den Zustand der Pfarrei
Wahlen von einer Zerstörung des Ortes und