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Von R. Rohr, Schiltigheim
Ganz droben im Gebirge, da wo die großen
Felsstücke durcheinander und vereinzelt herum-
liegen und am Hange kleben, so daß man stets
Angst haben muß, sie fallen hinunter in das
Tal, da wachsen die herrlichen Fichten. Mit ihren
Wipfeln sehen sie weit ins Land hinein, und
wenn die Sonne am Abend nicht mehr bis auf
den Waldboden scheint, dann erglänzen die
Baumspitzen noch lange im goldenen Lichte ihrer
Strahlen, welche die so anmutig klein scheinen
den Tannenzapfen hoch oben noch lange be
leuchten.
So eine Gesellschaft von Tannenzapfen hing
einmal beisammen. Gott, hatten die eine Freude
dort droben, allein schon wegen der Aussicht. So
geht es eben, wenn man Glück hat, denn tief
unter ihnen hingen auch noch welche, aber was
hatten die von der Welt? Daß es eine große Welt
gibt, das sahen und wußten nur die oben. Das
kommt von dem Glück. Manchmal, wenn sie zu
viel redeten und schwätzten von allem, was sie
sahen, da riet ihnen der Ast, an dem sie hingen,
sie sollten nicht so laut schreien, damit die an
deren unten nicht neidisch würden. „Und so
wieso“, sagte der Ast, „ist es noch nicht aller
Tage Abend. Es steht euch noch viel bevor, und
Hochmut kommt vor dem Fall.“
Und einmal kam er, der Fall. Aber nur für
einen der Zapfen, aber es diente den anderen
zur Warnung. Das passierte im Frühjahr, als ein
kleiner Windstoß die Bäume schüttelte. Die
Zapfen waren gerade im schönsten Gespräch,
lachten und kicherten zusammen, und da kam der
Wind, ganz unangemeldet, und stieß den einen
herab. Gerade wollte er noch etwas sagen, da
war es aber schon geschehen. Er plumpste auf die
unteren Zweige, so daß davon auch andere
Zapfen mit abfielen, darauf machte er einen
Sprung seitwärts und flog mitten auf den Wald
pfad, der dort durchkam. Da war es hart, und
der Anprall ließ ihn fast die Besinnung verlieren.
Es schmerzte ihn in allen Gliedern. Das war
schrecklich. Schlimmer war aber die Tatsache, daß
er nun gar nichts mehr sah. Überall um ihn her
um standen Hecken und Büsche, auf welche er
sonst vornehm herabgeguckt. Ach, es war ein
schamvolles Gefühl, so tief gefallen zu sein, wenn
man Besseres gewohnt war. Kaum getraute er
sich zu stöhnen vor Schmerz, und es schmerzte
ihn wahrhaft nicht wenig.
Jene, welche mit ihm in die Tiefe stürzten,
lagen in seiner Nähe auf dem weidien Moos und
verspürten daher weniger. Um so wütender waren
sie aber auf den armen Zapfen, weil er sie mit
hinabgerissen. Das ist immer so im Leben, näm
lich, daß Große, wenn sie fallen, immer noch
viele andere mit in den Abgrund ziehen. Das er
kennt man leider immer erst, wenn es zu spät
und schon so weit ist. Und so ging es auch dem
Tannenzapfen.
„Du bist schuld an unserem Untergang“, schrien
sie wütend, „und es geschieht dir gerade recht,
daß du hart auf gefallen bist.“ „Jetzt braudien
wir dodi nicht mehr hinaufzuschielen nach dem
Laffen“, höhnten die anderen, „nun ist er gerade
so weit wie wir, nämlich zu tiefst unten. Ja“,
lachten sie weiter, „das ist Balsam für unsere
Herzen. Wie war das so schön, da oben zu hän
gen. Jetzt kann man sich audi einmal die Welt
von unten ansehen.“
„Was macht es uns aus“, spotteten hämisdi
die ersten wieder, „daß wir da unten liegen. Tief
oder nodi tiefer, was madit es uns aus, wir sind
es schon gewohnt. Daß er unten liegt, das ist
die Hauptsache, und das gibt uns Genugtuung.“
Seht ihr, so ist es bei den Tannenzapfen.
Der arme vornehme Tannenzapfen aber wagte
gar nidit zu antworten. Dazu waren ihm die an
deren zu gemein und zu frech, und mit Gesindel
wollte er sich am liebsten gar nicht abgeben.
„Du bist noch jung, und das ist erst der An
fang der Sorgen“, sprach neben ihm ein großer
Pilz, „wie ergeht es dir erst, wenn einmal die