Full text: 1956 (0084)

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Von R. Rohr, Schiltigheim 
Ganz droben im Gebirge, da wo die großen 
Felsstücke durcheinander und vereinzelt herum- 
liegen und am Hange kleben, so daß man stets 
Angst haben muß, sie fallen hinunter in das 
Tal, da wachsen die herrlichen Fichten. Mit ihren 
Wipfeln sehen sie weit ins Land hinein, und 
wenn die Sonne am Abend nicht mehr bis auf 
den Waldboden scheint, dann erglänzen die 
Baumspitzen noch lange im goldenen Lichte ihrer 
Strahlen, welche die so anmutig klein scheinen 
den Tannenzapfen hoch oben noch lange be 
leuchten. 
So eine Gesellschaft von Tannenzapfen hing 
einmal beisammen. Gott, hatten die eine Freude 
dort droben, allein schon wegen der Aussicht. So 
geht es eben, wenn man Glück hat, denn tief 
unter ihnen hingen auch noch welche, aber was 
hatten die von der Welt? Daß es eine große Welt 
gibt, das sahen und wußten nur die oben. Das 
kommt von dem Glück. Manchmal, wenn sie zu 
viel redeten und schwätzten von allem, was sie 
sahen, da riet ihnen der Ast, an dem sie hingen, 
sie sollten nicht so laut schreien, damit die an 
deren unten nicht neidisch würden. „Und so 
wieso“, sagte der Ast, „ist es noch nicht aller 
Tage Abend. Es steht euch noch viel bevor, und 
Hochmut kommt vor dem Fall.“ 
Und einmal kam er, der Fall. Aber nur für 
einen der Zapfen, aber es diente den anderen 
zur Warnung. Das passierte im Frühjahr, als ein 
kleiner Windstoß die Bäume schüttelte. Die 
Zapfen waren gerade im schönsten Gespräch, 
lachten und kicherten zusammen, und da kam der 
Wind, ganz unangemeldet, und stieß den einen 
herab. Gerade wollte er noch etwas sagen, da 
war es aber schon geschehen. Er plumpste auf die 
unteren Zweige, so daß davon auch andere 
Zapfen mit abfielen, darauf machte er einen 
Sprung seitwärts und flog mitten auf den Wald 
pfad, der dort durchkam. Da war es hart, und 
der Anprall ließ ihn fast die Besinnung verlieren. 
Es schmerzte ihn in allen Gliedern. Das war 
schrecklich. Schlimmer war aber die Tatsache, daß 
er nun gar nichts mehr sah. Überall um ihn her 
um standen Hecken und Büsche, auf welche er 
sonst vornehm herabgeguckt. Ach, es war ein 
schamvolles Gefühl, so tief gefallen zu sein, wenn 
man Besseres gewohnt war. Kaum getraute er 
sich zu stöhnen vor Schmerz, und es schmerzte 
ihn wahrhaft nicht wenig. 
Jene, welche mit ihm in die Tiefe stürzten, 
lagen in seiner Nähe auf dem weidien Moos und 
verspürten daher weniger. Um so wütender waren 
sie aber auf den armen Zapfen, weil er sie mit 
hinabgerissen. Das ist immer so im Leben, näm 
lich, daß Große, wenn sie fallen, immer noch 
viele andere mit in den Abgrund ziehen. Das er 
kennt man leider immer erst, wenn es zu spät 
und schon so weit ist. Und so ging es auch dem 
Tannenzapfen. 
„Du bist schuld an unserem Untergang“, schrien 
sie wütend, „und es geschieht dir gerade recht, 
daß du hart auf gefallen bist.“ „Jetzt braudien 
wir dodi nicht mehr hinaufzuschielen nach dem 
Laffen“, höhnten die anderen, „nun ist er gerade 
so weit wie wir, nämlich zu tiefst unten. Ja“, 
lachten sie weiter, „das ist Balsam für unsere 
Herzen. Wie war das so schön, da oben zu hän 
gen. Jetzt kann man sich audi einmal die Welt 
von unten ansehen.“ 
„Was macht es uns aus“, spotteten hämisdi 
die ersten wieder, „daß wir da unten liegen. Tief 
oder nodi tiefer, was madit es uns aus, wir sind 
es schon gewohnt. Daß er unten liegt, das ist 
die Hauptsache, und das gibt uns Genugtuung.“ 
Seht ihr, so ist es bei den Tannenzapfen. 
Der arme vornehme Tannenzapfen aber wagte 
gar nidit zu antworten. Dazu waren ihm die an 
deren zu gemein und zu frech, und mit Gesindel 
wollte er sich am liebsten gar nicht abgeben. 
„Du bist noch jung, und das ist erst der An 
fang der Sorgen“, sprach neben ihm ein großer 
Pilz, „wie ergeht es dir erst, wenn einmal die
	        
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