Full text: 1955 (0083)

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War Lautermann ihm ohnehin schon nicht wohl 
gesinnt, so fiel ihm der Herr also bald sehr auf die 
Nerven! Lautermann stach der Hafer: Warte nur 
mein grünes Häschen — dir werde ich noch eine 
kleine Lektion erteilen! 
Sie waren im Pochhammerflöz angelangt. Aller 
hand dicke Rohrleitungen zogen sidi dort am 
Streckenstoß entlang. Wieder fragte der Herr von 
der Generaldirektion: „Wozu ist denn diese Rohr 
leitung da? Und jene dort? Warum laufen denn 
gleich drei Rohrleitungen entlang? Wären denn 
nicht zwei auch genug? Ist das nicht unnötige 
Vergeudung?“ Jetzt blieb er mit einem Ruck 
plötzlich stehen: „Pst!“ Er horchte auf — schaute 
auf die Rohre. Das Geräusch des rieselnden Spül 
gutes in den Spülversatzrohren war ihm aufgefal 
len. Er wandte sich an Lautermann. „Was ist 
denn das für ein Geräusch?“ In Lautermann 
blitzte ein Gedanke auf. Ihn ritt der Teufel. Ver 
traulich lächelnd wandte er sich ihm zu: „Man 
merkt natürlich sofort den geschulten Fachmann“, 
trug er dick auf. „Eigentlich dürfte ich ja gamicht 
darüber reden.“ Ob dieses plumpen Lobes 
schwellte sich der Bauch des Herrn Oberrevisors 
noch mehr hervor. Lautermann senkte seine 
Stimme zum Flüstern — er schaute sich um, als 
fürchtete er einen fremden Horcher: „Also ganz 
still und streng vertraulich. Ihr Wort darauf, — 
es kann mich meine Stellung kosten. Aber schließ 
lich sieht man ja doch gleich, wen man vor sich 
hat, und Ihnen als Fachmann möchte ich es an 
dererseits denn doch nicht vorenthalten. Aber wie 
gesagt: ganz streng geheim! Also gut — Ihr 
Wort darauf. Das ist nämlich die erste Anlage 
dieser Art in Europa. 
Also sehen Sie: Spülversatz ist ja eine alte, 
bekannte Geschichte, ganz alte Sache: Mit Hilfe 
von Wasser, eigentlich besser: einer Schlamm- 
trübe, transportiert man Sand, Bergekleinschlag, 
Kies usw. in Rohrleitungen bis vor Ort unter 
tage. Beim Blasversatz macht man dasselbe schon 
mit Hilfe von Preßluft. Und nun kam ein helles, 
gewiegtes Köpfchen auf die Idee und sagte sich! 
Könnte man nicht ebensogut die Kohle mit Hilfe 
von Druckluft in einer Rohrleitung von unter 
tage nach übertage herauf- und heraustranspor 
tieren: ,Pneumatische Förderung!' Druckluft ha 
ben wir hier ja genug — und Rohrleitungen 
auch — also doch eigentlich kein großes Problem! 
Und so ist das also, wie gesagt, hier die erste 
Versuchsanlage ihrer Art in Europa, — ja, in der 
ganzen Welt! Unsere Verwaltung natürlich wie 
der auch in dieser Beziehung führend an der 
Spitze! 
Erinnern Sie mich doch bitte nachher bei der 
Ausfahrt übertage, so werde ich Ihnen oben 
neben dem Schacht zeigen, wo die Kohle aus 
der Rohrleitung herauskommt!“ — Übertage 
neben dem Schacht stand ein neu erbauter Bun 
ker für Kohlenstaub zur automatischen Kohlen 
staubkesselfeuerung. Durch eine Rohrleitung 
wurde der Kohlenstaub von der Kohlensieberei 
in diesen Bunker abgesaugt. An diese Rohrleitung 
dachte Lautermann in diesem Augenblick. „Aber 
ich muß Sie nochmals dringendst bitten, reinen 
Mund zu halten! Ich könnte die größten Unan 
nehmlichkeiten haben! Sie werden verstehen, daß 
eine derartige Sache die größte Geheimhaltung 
erfordert! Sie können sich ja wohl denken, daß 
das Ausland an einer derartigen Neuerung das 
größte Interesse haben könnte! Was ich Ihnen 
also erzähle, ist nur für Sie ganz persönlich be 
stimmt! Unter strengster Diskretion!“ 
Lautermann wußte natürlich, daß der Herr 
Oberrevisor selbstverständlich eher platzen würde, 
als daß er diese interessante Neuigkeit bei sich 
behalten könnte! Und es war ihm natürlich auch 
ebenso klar, daß sich der Herr mit dieser Neuig 
keit unsterblich blamieren würde, wenn er sie 
einem Fachmann erzählen würde. Doch der Herr 
Revisor nickte gnädig und huldvollst zustim- 
mend, gebauchstreichelt ob dieses großen Ver 
trauens! 
Am nächsten Tage, gerade eben wollte Lauter 
mann nach Dienstschluß sich mit den Kollegen 
auf dem Heimweg begeben, schellte sein Signal 
auf: „Zum Betriebsführer!“ Schon wieder etwas? 
Der Betriebsführer hatte wohl gerade mit je 
mandem gesprochen, hielt noch wartend den 
Hörer in der Hand, schaute voll Spannung Lau 
termann entgegen. Kaum daß dieser auch nur 
seinen Fuß über die Schwelle des Büros gesetzt 
hatte, überfiel ihn auch schon der Betriebsführer: 
„Sagen Sie mal, Herr Lautermann, — was haben 
Sie da gestern dem Oberrevisor erzählt? Wir 
haben eine neue „pneumatische Förder-Versuchs- 
anlage“ in Pochhammerflöz eingebaut? „Streng 
geheim? Erste Versuchsanlage Europas? — Sagen 
Sie mal, — ist da bei Ihnen noch etwas vom 
letzten Frost übriggeblieben — oder von der gro 
ßen Hitze vor zwei Wochen? 
— Der Herr Generaldirektor fragt eben persön 
lich an — ist noch am Apparat, — wartet auf 
Bescheid.“ „Fragt, ob wir verrückt geworden sind, 
— will wissen, was das für Experimente sind, die 
wir hinter seinem Rücken uns erlauben!“ 
Lautennann wurde es etwas schwül zumute. Daß 
die Sache gleich so schlimm werden würde, daß sie 
sogar bis zu einer persönlichen Anfrage des Herrn 
Generaldirektors ausarten würde, hätte er sich 
natürlich nicht im Entferntesten träumen lassen! 
Zerknirscht und reuevoll gestand er den Sach 
verhalt ein, und der Betriebsführer gab ihn so 
fort telefonisch dem Herrn Generaldirektor weiter. 
Die Antwort des Herrn Generaldirektors konnte 
Lautermann natürlich nicht hören, er konnte nur 
an den Mienen des Betriebsführers und an dessen 
Schmunzeln ihre Wirkung ablesen und schließlich 
an seiner homerischen Lachsalve noch das schließ- 
liche gute Ende des dem Herrn Oberrevisor auf 
gebundenen Riesenbären ersehen. 
Und der Herr Oberrevisor ließ sich nie mehr 
auf der Grube, und schon gamicht mehr zu einer 
Grubeneinfahrt blicken.
	        
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