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Von Ingeborg Margeit
Saarbrücken
Wenn man die Akrobaten auf der Bühne sieht
— wer könnte dann glauben, daß sie Bergleute
sind — Bergleute, die in gebeugter Stellung
am Stoß stehen und Kohlen graben, die in ein
töniger Bewegung 8 Stunden lang die gleiche,
schwere Arbeit verrichten. Hier bilden sie eine
Pyramide — kraftvoll und frei. Jede ihrer Bewe
gungen verrät vollkommene Beherrschung des
Körpers. In diesen Augenblicken vergessen sie
ihren dunklen Arbeitsplatz unter der Erde, hier
zeigen sie im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit,
was ein Bergmann alles kann.
Natürlich — hinter allem Glanz verborgen,
gibt es auch geheime Sorgen. Die Bergmanns --
Artisten sind ganz auf sich allein gestellt und
besitzen nicht den Rückhalt wie ihre Sänger
kameraden oder Kollegen der Bergkapellen. Sie
haben mit mancherlei Schwierigkeiten zu kämpfen.
Da besteht zunächst einmal das Problem des
Trainings., das durch die Wechselschieht, die
die Bergleute machen, sehr erschwert wird. Im
iibrigen scheinen die Artisten im Laufe der Zeit
bei den SBW in Vergessenheit zu geraten, denn
immer seltener werden sie zu den Kamerad
schaftsabenden der einzelnen Abteilungen hinzu
gezogen. Lediglich die Grube, bei der die Ar
tisten beschäftigt sind, setzt ihren Stolz darein,
ihr Programm mit eigenen Leuten zu gestalten.
Wenn der Bergmanns-Artist sich ein größeres
Publikum wünscht, dann nicht, um seinen Geld
beutel zu füllen. Nein, er ist Idealist und trainiert
und tritt aus Freude am Sport auf. Dabei
schafft er sich den schönsten Ausgleich zu
seinem schweren Beruf. Sehen wir ihn uns einmal
genauer an! Lassen wir unseren kleinen Film
streifen ablaufen!
Wir blenden auf.
Schauplatz: Küche des Elternhauses von Ste
phan Engstier-Altenwald.
„Au, sagt die kleine Christel und reibt sich den
blonden Lockenschopf. Sie ist beim Training in
der Küche an die Lampe gestoßen und verzieht
jämmerlich das Gesicht. „Ja“, meint Vater Engstier
lachend, „wir müssen uns bald nach einem ge
eigneteren Raum umsehen. Die Küche wird auf
die Dauer zu eng!“
Engstier ist Bergmann auf Grube Mellin.
28 Dienstjahre hat er als Hauer auf dem Buckel.
Wie zu erraten, betätigt er sich nebenbei als
Artist. Er ging bei keinem der im Saarland be
kannten Akrobaten in die Lehre. Ohne ein Vor
bild zu besitzen, arbeitet er all seine Tricks selbst
aus. Da,s Metier liegt ihm im Blut. Schon als Junge
nützte er jede Möglichkeit aus, einen Zirkus zu
besuchen. In seinem Vater, dem Glasmachermeister
Engstier, findet er einen guten Bundesgenossen,
denn auch dieser liebt die Zirkuswelt und das
Variete. Stephan Engstier verlegt sich zunächst
aufs Ringen. 1939 gründet er die erste Akroba
tengruppe, die au,s 4 Männern besteht. Als seine
älteste Tochter 5 Jahre alt ist, beginnt er mit
dem Training. Bereits 1941 tritt er mit ihr im
Eden-Variete in Saarbrücken auf. Während des
Stephan Engstier, Altenwald