114
ersten Blick erscheint — denn wir sehen nur
einige Bottiche mit verschiedenem, pulverisier
tem Material — dennoch den Grundstock bildet,
auf den sich die gesamte Fabrikation aufbaut.
In dieser Gemengekammer werden die Rohmate
rialien, die zur Herstellung des Glases erforder
lich sind, nach einem besonderen Rezept, das
Betriebsgeheimnis ist, zusammengestellt und abge
wogen. Schon in diesem Rohgemenge werden
die gewünschten Eigenschaften des fertigen
Produktes weitgehend grundgelegt.
Der wichtigste Rohstoff, den man zur Gewin
nung des Glases benötigt, ist Quarzsand, den das
Werk aus der Gegend von Fontainebleau in
Frankreich bezieht, da dieser Sand wegen seines
hohen Silizium- und geringen Eisenoxyd-Gehalts
besonders geeignet ist. Ein Arbeiter schippt das
feine, weiße Material aus einem Trockenofen in
eigens dafür bestimmte Bottiche.
Der Quarzsand würde an sich schon zur Her
stellung von Glas genügen. Um jedoch die hohe
Schmelztemperatur, die bei 2000° liegt, herab
zusetzen, gibt man Soda bei und senkt dadurch
die Schmelztemperatur auf 1450 °. Der Zusatz
von Soda hat einen Nachteil: er bewirkt, daß
das Glas weich wird und sich an der Ober
fläche mit der Zeit zersetzt. Um dem Mate
rial die nötige Härte zu verleihen, benötigt man
als dritten Rohstoff Kalk, der etwa die gleiche
Wirkung hat, wie die Kalkpräparate, die man
an die Kinder verabreicht, um ihren Knochenbau
zu stärken. Bei besseren Gläsern wild die Soda
durch Pottasche ersetzt. Das hierbei entstehende
Kaliglas oder Kristall ist heller als das Soda- oder
Natronglas. Will man die Qualität des Materials
weiter verbessern, fügt man Blei in Form von
Mennige hinzu und erhält nun das bekannte
Bleikristall, das einen höheren Glanz besitzt als
gewöhnliches Glas und auch weniger spröde ist,
so daß es sich leichter verarbeiten und schleifen
läßt. Außer einem Bleikristall, welches 30% Blei
enthält, wird in Wadgassen ein Spezialglas her
gestellt, ebenfalls ein schönes, reines, helles
Glas mit einem Bleigehalt von 3—5%.
In einer Cemengekammer werden also, wie be
reits erwähnt, nach einem besonderen Rezept die
Rohstoffe für das zu gewinnende Glas zusammen
gestellt, in Mischtrommeln gemengt und schließ
lich in die tönernen Schmelz gef äße, die soge
nannten „Häfen“ gefüllt, von denen je 10 in
den Schmelzöfen stehen. Das Roihstoffgemenge
wird über Nacht geschmolzen und am Tage im
Einschichtsystem herausgearbeitet.
Um die beiden großen Schmelzöfen herrscht
eine verwirrende Geschäftigkeit. Im Rackernden
Schein der Gasflammen, die in den Öfen lodern,
bewegen sich die Arbeiter hin und her, und nur
mühsam erkennt man, daß hier jede Hand
habung geregelt ist und sich in Ordnung voll
zieht. Rings um die Sdnnelzöfen befinden sich
14—15 Arbeitsplätze mit je 4 Mann. Die kleinen
Gruppen konzentrieren sich um den Glasmaeher-
meister, der für die ausführenden Arbeiten ver
antwortlich ist. Einer der Arbeiter der Vierer
gruppe, der Glasbläser, entnimmt mit seiner
„Glasmacherpfeife“ (siehe Abb. 2), einem etwa
1V2 Meter Langen Stahlrohr, dem Ofen einen
Posten zähflüssigen Glases und bildet damit
durch Aufblasen, Schwenken in der Luft und
Einblasen in eine gußeiserne Hohlform den Kelch
eines Glases. Der Glasmadiermeister übernimmt
die „Pfeife“ mit dem fertiggeblasenen Kelch und
formt, das Glas gleichmäßig rotierend, Stengel
und Fußplatte, daran, wozu ihm das Material
von einem zweiten Gehilfen mit einem „An
fangeisen“ gereicht wird, Schließlich wird das
fertiggewordene Glas von einem 3. Gehilfen
von der Pfeife abgeschlagen und fortgebracht.
Abb. 2. Glasbläser
Die Arbeitsgruppen arbeiten im Akkord. Wir be
wundern die Handfertigkeit vor allem des Glas
bläsers und des Glasmachermeisters, deren Tätig
keit nicht nur große Geschicklidikeit, sondern
auch ein genaues Augenmaß voraussetzt. Wenn
auch das Glas nach diesem Arbeitsprozeß eine
normale Färbung angenommen hat, besitzt es
doch noch eine Temperatur von 300—400 Grad.
Würde man es der Tagestemperatur preisgeben,
müßte es unweigerlich zerspringen, da durch die
unregelmäßige Erstarrung des Glaskörpers Span
nungen entstehen, die zum Bruch führen. Um
den Spannungszustand auszugleichen, muß jeder