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Ein Teil des Schallplattenarchivs
Gesamtbestand: 16 000 Platten, 10 000 Bänder
eignis. Hierzu mußte man selbstverständlich
Stellung nehmen. Und zwar auf der geeigneten
Plattform, in der aktuellen Sendung „Die Stimme
des Tages". Nun dauert aber die „Stimme des
Tages“ (von 19.30 bis 20.00 Uhr) 30 Minuten.
Sechs Minuten, manchmal auch nur fünf oder
vier Minuten, entfallen auf die reinen Nach
richten. Der Rest sind Kommentare, Direkt
berichte, telefonische Berichte oder Reportagen.
Am 10. Juli war also das Thema des Haupt
kommentars oder des sogenannten „Kommen
tars zur Lage" gegeben. Es hieß: Beria ist ge
stürzt. Das für die saarländischen Hörer min
destens ebenso wichtige Thema hieß aber: Im
Rahmen des Studienprogramms der Montan
union werden am 10. Juli Fachleute aus den
sechs Schumanplanländern (auch die Engländer
hatten Beobachter entsandt) die saarländische
Kokerei Reden besichtigen und sich dort über
die Fortschritte informieren, die auf dem Gebiet
der Produktion von Koks aus minderwertiger
Kohle erreicht worden sind. Darüber mußte be
richtet werden. Und zwar in Form einer Repor
tage. Die Programmaufteilung entschied der
Chefredakteur. Seine Mitarbeiter aus den Sek
toren Politik, Wirtschaft, Zeitfunk, Nachrichten
und Lokales brachten ihre Wünsche vor. Jeder
verteidigte seine Zeit. Der Politiker war der
Ansicht, daß der Kommentar über Beria min
destens sechs Minuten beanspruchen werde
(„immerhin — so hieß das Argument — wird
ja wieder einmal ein Stück Ost-West-Politik
entschieden"). Der Zeitfunkmann braucht natür
lich auch Zeit: „Wir haben im Saarland über
50 000 Bergleute. Jeder Bergmann ist Hörer des
Rundfunks. Jeder einzelne ist daran interessiert
zu wissen und bestätigt zu finden, ob und daß
seine Leistungen gut sind. Dazu kommt, daß die
Montan-Fachleute Franzosen, Belgier, Engländer,
Holländer usw. sind und nicht deutsch sprechen
werden. Was sie sagen muß übersetzt werden.
Ich brauche mindestens acht Minuten." Schön.
Die Zeiten werden zugeteilt, aber das Programm
ist noch nicht vollständig...?! Natürlich war
das Programm mehr als vollständig. Der 10. Juli
war ein Freitag und vereinbarungsgemäß meldet
sich an jedem Freitag aus dem Studio Paris
Gerard Kumleben mit einem Kommentar über
den Verlauf der innerpolitischen Woche in
Frankreich. Dauer etwa fünf Minuten. Mitten in
die Diskussion, ob der Rest des Programms von
einem etwas zeitlosen Bericht des Spanien
korrespondenten von Radio Saarbrücken oder
durch einen Beitrag der britischen Rundfunk
gesellschaft BBC London bestritten werden
sollte, läutete das Telefon. Die Postabteilung
meldete, daß ein Band des Wiener Korrespon
denten Ernst Bohatsch angekommen sei. Der
Bericht des Grazers war eine Bandaufnahme,
also eine Tonkonserve ähnlich der Schallplatte.
Uber den Unterschied zwischen Schallplatte und
Tonband müßte mehr geschrieben werden, als
es jetzt möglich ist.
Vielleicht genügt es, grob zu sagen, daß sich
ein Tonband am ehesten mit einem Filmstreifen
vergleichen läßt. Ebenso, wie ein Film im
wahrsten Sinne des Wortes geschnitten werden
Zeitiunkleiter Karl Pastowski an der Gersweilerbrücke