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lages. Deshalb gab der Volksmund dem nied
lichen Pflänzchen den Namen „Sonnentau".
Ahnungslos und durstig, von dem köstlichen
Naß angelockt, setzt sich eine Mücke auf ein
schillerndes Sonnentaublättchen. Doch der Irr
tum wird zu spät erkannt. Festgehalten von
der klebrigen Flüssigkeit dieser „Tautropfen"
macht die Mücke Fluchtversuche, schlägt mit
den Flügeln um sich, versucht, sich mit den
Beinen abzustemmen — doch alle Mühe ist
vergebens. Sie benetzt sich mehr und mehr mit
dem klebrigen Saft und liegt schließlich er
mattet und sterbend auf dem Haarkissen. Das
köstliche Naß war kein erfrischender Nektar,
sondern ein klebriger Schleim, welchen die
Drüsenhaare der Blätter absondern und der in
der Sonne wie Tau schillert und glitzert. Er
lockt die Insekten an, sie kleben fest und
gelangen bei ihren Fluchtversuchen mit immer
neuen Drüsenköpfchen in Berührung. Dieser
Berührungsreiz läßt das ganze Blatt in Bewe
gung gelangen. Benachbarte Drüsenhaare krüm
men sich über das sich wehrende Insekt und
drängen es zur Mitte des Blattes hin. Schließlich
neigen sich die Blattränder einwärts, so daß
das Insekt in eine Grube zu liegen kommt
(Abb. 6). Die an dieser Stelle befindlichen
Drüsenhaare sondern nun verstärkt Säfte ab,
die, ähnlich wie unser Magensaft, die Weich
teile des Tieres auflösen, d. h. verdauen. Nur
die harten Chitinteile bleiben zurück. Die auf
gelösten Weichteile des Tierkörpers werden
dann von den Drüsen aufgesaugt und dienen
zur Ernährung des Sonnentaus. Nach diesem
Vorgang breiten sich die Blätter wieder aus.
Die nicht verdaubaren Chitinteile werden vom
Wind und Regenwasser von den Blättern weg
genommen. Von zahlreichen Tauperlen besetzt,
erstrahlt das verführerische Blatt wieder in der
Sonne, bereit, ein neues Opfer zu „ver
schlingen".
Abb. 6: Blätter des Sonnentaus (Drosera rotundilolia)
Links Blatt mit eingefangenem Käfer. Statt lebender
Objekte werden auch feine Fleischstückchen verdaut.
Ebenfalls gute Studienobjekte sind Drosera longi-
lolia, intermedia und Drosophyllum. Etwa fünffach
vergrößert (Orig.)
Abb. 7: Fettkraut (Pinguicula vulgaris)
Auf torfigen und moorigen Wiesen begegnet
man auch dem Fettkraut {Abb. 7). Äußerlich
ganz anders aussehend als der Sonnentau, hat
es im übrigen viele Eigenschaften mit diesem
gemeinsam. Wie wir auf Abbildung 7 sehen,
bildet das Fettkraut ebenfalls eine Blattrosette.
Sie besteht aus hellgrünen, dickfleischigen,
länglich-elliptischen Blättern, die rinnig vertieft
sind. Sie liegen dem Boden auf, und aus ihrer
Abb. 8: Zwei Blätter der Fliegenfalle,
das rechte geöffnet, das linke zusammengeklappt
Mitte wächst im Sommer ein fünf bis zehn
Zentimeter hoher Blütenschaft empor mit ge
spornten, violetten Blüten. Die Oberfläche der
Blätter ist stets mit einem klebrigen Schleim
überzogen und verleiht ihnen einen fettigen
Glanz, worauf sich der Name der Pflanze be
zieht. Reibt man ein Blatt zwischen den Fingern,
so fühlt es sich rauh an. Diese Eigenschaft
rührt von den vielen kleinen pilzförmigen Er
hebungen her, die man schon mit dem bloßen
Auge erkennen kann. Es sind die Drüsen, die
den zähen Schleim absondern. Auch hier glän
zen die Schleimtröpfchen wie Tautropfen in der