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Von Elisabeth K i r c h
D as bleiche Halbgesicht des Mondes schwamm
zwischen weißem Gewölk und blinzelte be
lustigt auf das seltsame Treiben drunten im
Dorf. Ach, dergleichen kannte er schon, der
gute, alte Mond. Alle bösen Geister schienen
losgelassen da unten auf der Erde. Da wurden
Leitern abgehängt und fortgeschleppt, Schub
karren in den Bach gestoßen, daß er plätschernd
aufbegehrte, Wagen fortgerollt, Pflüge ver
schleppt, Fensterladen wurden aus den Angeln
gehoben und Hühnerleitern abgebrochen.
Das Gesicht des Mondes verzog sich zu einem
breiten Grinsen, als er sah, wie bei dem Hahne-
bauer in der Hahnegaß die Sau aus dem Stall
gezerrt und zur Fuchsdell hinaufgetrieben
wurde. Ihr mörderisches Grunzen weckte die
Schläfer. Aber bis sie in die Röcke, in Hosen
und Wämser gefahren waren, hatten die Gei
ster sich längst verduftet.
Ei! Aber dort hinten in der „Hohl" trieben sie
es noch toller. Dort nahmen sie einen Wagen
auseinander, einen regelrechten Leiterwagen,
wirklich und wahrhaftig, legten eine Leiter ans
Schuppendach und beförderten den Wagen hin
auf, Teil um Teil. Es war ein Meisterstreich.
Oben setzten sie den Sezierten wieder zusam
men. Ei ■—■ wie sie kicherten und grinsten! Nun
thronte der Wagen breit und stattlich auf dem
Dach. Nein, solch ein Streich! Der Bauer würde
Augen machen morgen in der Früh.
Aber was war das für ein seltsames Treiben
dort unten im Wald. Aha, da wurde heimlicher
weise Holz gefrevelt. Das Gesicht des Mondes
verfinsterte sich. Er sah schärfer hinunter. Wahr
haftig — jungfrische Maien schlugen sie ab. Er
schrocken flüchtete er hinter eine graue Wolken
wand. Die Geister aus Fleisch und Blut pirsch
ten sich mühsam durchs Gestrüpp. Bald knackte
da ein Ast, bald dort ein Bäumchen, das mit
einem ächzenden Seufzer sein junges Leben
aushauchte. Jetzt trat eine schmale Gestalt aus
dem Walddunkel, zwei junge Birken unterm
Arm. Es war Heinrich. Er lud die Bäumchen auf
die Schulter und schritt quer über das Feld zum
Dorf hinunter. Er wollte die Maien der Elsa vor
die Haustüre pflanzen als sinnigen Gruß. Jedes
Mädchen war stolz auf den Maibaum, womit
der heimlich Geliebte seine Zuneigung kundtat.
Heinrichs Augen tasteten liebevoll über die
schlanken Maien hin. Sie sollten bei Elsa für
ihn sprechen, sie sollten ihr, der Feinen, Stolzen
sagen, daß er sie liebe.
Jetzt hatte er das Gehöft erreicht. Es war
kein leichtes Stück, in den abgezäunten Hof zu
gelangen, aber Heinrich schaffte es, denn Liebe
vermag alles. Mit flinken Händen pflanzte er
die Bäumchen auf, eins rechts und eins links
der Haustüre. Wie junge stolze Ehrenwächter
standen sie im silbrigen Mondlicht. Heinrich
war so sehr in sein heimliches Tun versunken,
daß er den Späher gar nicht gewahrte, der in
den breiten Schatten der hohen Scheune ge
duckt, heimlich lauerte. Mit einem befriedigten
Blick auf sein Werk, nahm er Abschied von den
Boten seiner Liebe, überquerte den Hof, tastete
sich durch den Garten, schwang sich über den
Zaun und dann stand er draußen auf einem
breiten Feldweg. Wie der Flieder so betörend
duftete! Ein Rausch erfaßte Heinrich. Er sah
nicht mehr, wie dort auf dem weiten Gehöft