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J Von Erich Hagel, Homburg
Wandernde Fische
Der Wandertrieb ist im Tierreich weit ver
breitet. Die Zugvögel werden von ihm vor Ein
tritt des Winters gepackt und ziehen in wärmere
Länder. Säugetiere führen größere Wanderungen
durch, namentlich in den Gebieten des ge
mäßigten und polaren Klimas, wo die jahres
zeitlichen Unterschiede erheblich sind. Doch
können die Säugetiere infolge ihrer geringeren
Bewegungsfreiheit nicht so weite Strecken zu
rücklegen wie die Vögel. Dem Vogelzug am
ähnlichsten sind unter den Säugetieren die
regelmäßigen Wanderungen der Fledermäuse.
Im Oktober und November beziehen sie ihre
Winterquartiere in Höhlen, Schächten und Kase
matten und im März und April kehren sie
wieder in ihre Sommerstandorte zurück. Dabei
durchfliegen sie Gebiete von 100 km Ausdeh
nung und mehr. Unterwegs verbergen sie sich
während des Tages in hohlen Bäumen und ähn
lichen Schlupfwinkeln. Bekannt sind die periodi
schen Wanderungen der Renntiere. Zum über
wintern wandern sie aus der Tundra (Moos-
und Flechtensteppe des Nordens) auf bestimmten
Straßen nach dem Süden zu den Rändern der
sich anschließenden riesigen Waldgürtel. Flüsse
bilden auf ihren Wanderungen keine Hinder
nisse und werden schwimmend immer an den
gleichen Stellen durchquert. Antilopen wechseln
im Herbst von den Bergen in die Täler und
im Frühjahr umgekehrt. In geringem Ausmaß
beobachten wir ähnliches bei anderen Säuge
tieren des Hochgebirges wie Steinbock, Gemse
und Fuchs. Gewaltige Strecken legten einst die
ausgerotteten Büffelherden in den nordameri
kanischen Prärien zurück. Unter den Insekten
führen manche Libellenarten und Schmetter
linge (z. B. Kohlweißling, Distelfalter) Wande
rungen durch. Berüchtigt sind die wolkenartigen
Züge der Wanderheuschrecken in Südrußland,
Syrien und Ostafrika, gefolgt von Hungersnot
und Elend.
Massenwanderungen finden wir aber be
sonders unter den gesellig lebenden Fischen.
Ihre Wanderwege erstrecken sich nicht selten
vom Meer in das Süßwasser, oft viele Hunderte
Kilometer flußaufwärts. Der Grund zu solchen
gewaltigen Wanderungen ist meistens das Auf
suchen von Laichplätzen. Das Musterbeispiel
für eine Laichwanderung vom Meer- zum Fluß
wasser ist der Lachs oder Salm. Wer kennt ihn
nicht von den Fischhallen her und wer hat noch
nicht sein köstliches und pikantes Fleisch ge
gessen? Der stattliche Fisch kann bis 1,50 m
lang und bis 45 kg schwer werden (Abb. 1).
Seine spindelförmige Gestalt, seine Stärke, Ge
wandtheit und das weite, mit Zähnen bewaffnete
Maul verraten sofort seine räuberische Lebens
weise. Der Rücken ist blaugrau, die Unterseite
weiß und glänzend, die Seiten silbrigweiß.
Als die Heimat des Lachses betrachtet man
die Flüsse und Seen der gemäßigten Zone
Europas und Nordamerikas. In Mitteleuropa
kommt er vor allem im Rhein und seinen
Nebenflüssen, in Oder, Weichsel, aber auch in
Elbe und Weser vor, sofern sich ihm nicht
Wehre, Staudämme und Wasserfälle als unüber
windliche Hindernisse entgegenstellen. Häufiger
als in Mitteleuropa trifft man ihn in den Strömen
des europäischen Rußlands, Schwedens, Nor
wegens, Finnlands, Islands, Grönlands und
Nordamerikas, selten in denen Westfrankreichs
und Nordspaniens, an. In den Flußläufen Groß
britanniens war er früher ebenfalls häufig, ist
jedoch infolge starker Verfolgung durch den
Menschen sehr zurückgegangen. Er fehlt in
allen Flüssen, die in das Mittelländische Meer
münden.
Seine Jugendzeit verbringt er im Süßwasser.
Alljährlich steigt er vom Meer in die großen
Flüsse und stößt bis in ihre Quellgebiete vor.
Seine Meerheimat erstreckt sich durch den
ganzen Atlantischen Ozean (43 ° bis 70 0 n. Br.).
Was er dort treibt, wissen wir nicht genau. Nur
eins steht fest, er mästet sich hier in einer für
Fische beispiellosen Weise und rüstet sich so
auf die lange und weite Reise, die ihn duich
das Meer bis zu den Quellen der Ströme und
ihrer Zuflüsse führt. Im Süßwasser frißt der
aufsteigende Lachs nämlich nichts mehr. In den
Abb. 1
Lachse (L) und Forelle (F) in einem Waldbach