Full text: 1952 (0080)

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Pflanzen und Piere als Baumeister 
Von Erich Hagel, Homburg 
W ie oft stehen wir staunend vor Pflanze 
und Tier und bewundern die plan- und 
sinnvolle Bauart. Technische Probleme sind ein 
fach und meisterhaft gelöst. Dabei sind Harmo 
nie und architektonische Schönheiten nicht ver 
nachlässigt worden. Was wir Menschen erst seit 
kurzem in der Technik anwenden, benutzen 
Pflanzen und Tiere bereits seit hunderttausen 
den von Jahren. Noch vieles können wir auf 
diesem Gebiet von der lebenden Natur ablesen 
und lernen. Nur müssen wir mit offenen Augen 
unsere Umgebung be 
obachten. Wir können 
nicht immer das Be 
obachtete nachahmen, 
da unsere Hand und 
unsere Mittel oft un 
zureichend und zu be 
scheiden sind. 
Schauen wir uns 
einen Getreidestengel, 
z. B. einen Roggen 
halm, an. Er erreicht 
eine Höhe von 2 m 
und darüber hinaus. 
Oben ist er 2 mm, 
unten 5 mm, in der 
Mitte also 3,5 mm 
dick. Auf dem langen 
dünnen Halm sitzt 
obenauf die schwere 
Ähre. Das ist genau 
so, als würde jemand 
sein Häuschen auf die 
Spitze eines hohen Schornsteins bauen. Wer 
wollte wohl darin wohnen? Der Roggenhalm 
vermag aber die Last der Blätter und Ähren 
zu tragen und selbst stürmischen Winden zu 
widerstehen, ohne zu knicken. 
Ein interessanter Vergleich: 
Bauwerke 
Höhe 
Untere 
Breite 
Ver 
hältnis 
Schornstein 
30 m 
2,50 m 
12 : 1 
Turm des 
Frankfurter Doms 
96 m 
18,00 m 
5 : 1 
Cheops-Pyramide 
137 m 
233,00 m 
1 : 2 
Eiffelturm 
300 m 
(breiter als hoch) 
130,00 m 3:1 
Roggenhalm 
2000 mm 
5 mm 
400 : 1 
Welche Einrichtungen geben dem Halm die 
notwendige Festigkeit? Durch Querwände in 
den Stengelknoten ist er wie ein mehrstöckiges 
Gebäude unterteilt. Die Knoten entsprechen den 
Lagen der Balken bzw. Eisenträgern in einem 
Haus. Da der untere Halmteil die größte Last 
zu tragen und bei Wind am meisten aus 
zuhalten hat, liegen hier die Knoten dichter bei 
einander. Der Halm wird von dem unteren Teil 
der Blätter scheidenartig-umgeben. Entfernt man 
diese Blattscheiden, so knickt er um. Die Blatt 
scheiden geben also den unteren Stengelteilen 
den nötigen Halt. Nach außen ist die Blatt 
scheide durch ein festanliegendes Blatthäutchen 
abgeschlossen, damit herablaufendes Wasser 
nicht zwischen Blatt 
scheide und Halm ge 
langen und hier Fäul 
nis hervorrufen kann. 
Durch Abtasten oder 
mit Hilfe der Lupe 
stellt man leicht fest, 
daß der Halm an 
seiner Oberfläche ge 
rippt ist. Diese kleinen 
Rippen sind Verstei 
fungen in der Längs 
achse und bestehen 
aus Befestigungsgewe 
ben. Die Leitungs 
bahnen für die Säfte 
sind wie Säulen in der 
Wandung des Halmes 
angeordnet. Durch ihre 
verstärkten Wände 
verringern sie die Zer- 
reißbarkeit. Als Halm 
ist der Stengel hohl. 
Hohle Träger besitzen eine enorme Druck-, Zug- 
und Drehfestigkeit (vergleiche Masten- und 
Flugzeugbau). So können wir abschließend fest 
stellen, daß der Roggenhalm sich uns als ein 
kleines technisches Meisterstück vorstellt. Seine 
Vollkommenheit ist von Menschen noch in 
keinem Bauwerk auch nur annähernd erreicht 
worden. 
Als eines der vielen ungelösten technischen 
Probleme tritt uns die Leitung des Wassers in 
der Pflanze von ihren Wurzeln bis in ihre 
höchsten Zweigspitzen entgegen. Von einem 
Straßenbaum durchschnittlicher Höhe werden an 
einem Sommertag durch seine Blätter rund 300 
Liter Wasser verdunstet. Diese müssen täglich 
aus dem Boden bis in alle Teile der Laubkrone 
befördert werden. 300 Liter Wasser sind etwa 
30 Eimer voll! Unsere Waldbuchen sind im all 
gemeinen 25—30 m hoch. Eine stattliche Weiß 
tanne kann eine Höhe von 75 m erreichen, die 
Kunsttormen der Natur
	        
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