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Da er nicht recht weiß, wie er sich in dieser
gewiß einmaligen Sache zu verhalten hat, ruft
er seinen Vorgesetzten, den Bischof von Trier,
an, der amüsiert, bestimmt, daß man dem
jungen Burschen Absolution erteilen soll. Hoch
würden Kollmann verlangt deshalb von dem
Hannes nur, daß er den Kirchturmhahn wieder
an Ort und Stelle bringe.
Mit dem neu eingesegneten Hahn auf dem
Rücken beginnt der kühne Kletterer unter den
Klängen von Blasmusik —- die sich der Schalk
für den feierlichen Akt eigens bestellt hat —
zum zweitenmal den Aufstieg. Die Menschen
menge auf dem Kirchplatz wagt kaum zu atmen.
Setzt sich doch der tollkühne Bursche rittlings
auf den bereits befestigten Hahn und dreht sich
hoch oben auf der Kirchturmspitze mit dem
Gockel rundum, als säße er auf einem Karussell.
Dann gibt er ihm noch einmal einen Klaps,
daß er sich wirbelnd um seine eigene Achse
dreht und kehrt von den Höhen auf die Erde
zurück. Doch ganz auf dem Erdboden ist er zu
nächst nicht gelandet, denn seine Sangesbrüder
nehmen ihn auf die Schultern und tragen ihn
im Triumphzug durch Spiesen. Es dauert fast
drei Wochen, bis sein Leben wieder in nor
malen Bahnen verläuft. Von Stund an aber
nennt ihn jeder mit dem Namen, den ihm der
gute Pastor Kollmann gegeben hat: Hahnemann.
*
Die Geschichte hat noch ein kleines Nachspiel.
Drei Wochen später findet im Regierungs
bezirk Trier die Stichwahl statt, die entweder
Minister Koßmann oder Exzellenz v. Schubert
in den Reichstag bringen soll, überall werden
in den Gasthäusern der Ortschaften Wahlver
sammlungen abgehalten — und auch ganz
Spiesen ist vom Wahlfieber gepackt. In ihrem
Eifer bitten die Anhänger Koßmanns den
Hahnemann zu sich und beauftragen ihn damit,
eine Kirchenfahne auf dem Kirchturm zu hissen,
falls Koßmann die Mehrheit erränge. Sie bieten
ihm zwanzig Mark dafür.
Die Anhänger der Demokratischen Partei —
nicht minder aktiv — wollen ebenfalls ihre
siegreiche Fahne auf dem Kirchturm flattern
sehen. Großzügig versprechen auch sie dem
Hahnemann zwanzig Mark für das Anbringen
ihrer Fahne auf dem Turm.
Als Koßmann mit knapper Mehrheit den Sieg
erringt, ziehen seine Anhänger — und voran
Hahnemann — mit Musik durch das nächtliche
Spiesen. Irgend jemand steckt Spindler Beleuch
tungskörper in die Hosentaschen. Und während
dieser zum drittenmal den Kirchturm empor
klettert, macht er ab und zu halt, zündet ein
Streichholz an und brennt sein Feuerwerk ab.
Drei Wochen lang hängt die Fahne am Turm,
bis der Sturm sie zerfetzt und herunterreißt.
*
Der Schalk Hahnemann ist in seiner Jugend
nicht nur 58 m in die Höhe gestiegen, sondern
auch 190 m in die Tiefe gerutscht. Und dies;
zu seiner Ehre sei's gesagt, nicht um einen
tollen Streich auszuführen, sondern um seinen
Arbeitskameraden aus der Klemme zu helfen
Es ist auf Grube Geisheck. Die mit Langholz
beladene Schale steckt fest, weil die Ladung
gerutscht ist. Der Maschinist wagt es nicht, den
Korb noch stärker anzuziehen. Was nun?
Hahnemann besitzt Mut genug, die Kame
raden aus dieser dummen Affäre zu ziehen. Im
Schachtanzug, das Beil zur Seite, Putzwolle in
beiden Händen, rutscht er am Seil hinunter auf
den Korb — 190 m tief. Das ist ein schwieriges
Stück Arbeit. Die Hose wird dabei durchgewetzt
und die Hände wundgerieben. Aber es ist ge
schafft. Ein Schlag mit dem Beil — und schon
fliegt das Stück Holz beiseite, das sich in den
Einstich klemmt. Die Schale ist wieder flott.
Auf ihr stehend erreicht Hahnemann sicher den
nächsten Stollen.
*
Heute ist Hahnemann 60 Jahre alt. Das Leben
hat ihm manchesmal übel mitgespielt. Aber
seinen Humor hat er sich bis auf den heutigen
Tag bewahrt. Und der hat ihm schon mehr als
einmal geholfen.
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BECKER S BIER