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DER
VERBOTEN E
z
Von Albert B r u n k
wie die Röcke flogen und die Augen
C/ blitzten, wie flink die Füße waren und
wie geschmeidig sich die jungen Körper an dem
wunderschönen Maienabend im Tanze drehten.
Der Nickel strich die Fiedel und die Saiten
sangen das alte und doch ewig junge Lied von
Jugendseligkeit und Liebessehnsucht. Behutsam
nahm der Wind die zärtlichen Melodien auf
seine Flügel und trug sie über die Wiesen und
Felder des Ostertales für die Vögel in der Luft
und die Hasen in der Ackerfurche.
Die Jugend des Dorfes tanzte auf dem grünen
Rasen.
Auch den Küster hatte der schöne Abend
hinausgelockt und zu einem Spaziergang ver
leitet. Es war wohl ein mühseliges Gehen für
Die Jugend des Dorfes tanzt
ihn, denn er wurde von der Gicht geplagt, und
oft fielen ihn die Schmerzen an wie grimme
Tiere. Durch die Gichtbrille gesehen bietet die
Welt ein düsteres Bild, und es bleibt nichts von
dem Frühling, den der Mai so verschwenderisch
in junge Herzen streut.
So ächzte der Küster durch den Abend und
hoffte vergeblich, daß die Schmerzen von der
lauen Luft davongetragen würden.
Dem Winde tat der alte Küster leid und er
streute ihm einige der lockenden Tanzklänge in
das Ohr, daß sie ihn ablenken sollten von der
bösen Gicht. Aber was wußte der Wind von
Menschen, die von Schmerzen geplagt werden?
Eine grimme Wut stieg in dem Küster auf, als
er die Geige hörte und das junge Volk beim
Tanze sah. Hatte nicht eine hohe Behörde in
Ottweiler das Tanzen bei strenger Strafe ver
boten und nur für wenige Stunden an hohen
Festtagen erlaubt? Und nun sprang die Jugend
dort unbekümmert im Reigen, als habe sie das
Recht dazu! Wie verdorben doch die Burschen
und Mädchen waren. Sorgenvoll schüttelte der
Küster den Kopf. Zu seiner Zeit war man nicht
so ungehorsam gegen die Obrigkeit. Aber er
wollte es ihnen zeigen! Wie konnten sie tanzen,
wenn ihn selbst die Gicht plagte? — So schnell
es die gichtigen Füße erlaubten, strebte er nach
der tanzenden Gruppe. Altpeters Klärchen er
spähte ihn zuerst.
„Der Küster", schrie die Achtzehnjährige mit
den goldblonden Zöpfen, und sie wirbelte da
von, noch ehe ihr Partner die Gefahr erkannte.
Wie die wilde Jagd folgte ihr die ganze Gesell
schaft, und dem Küster blieb nur das leere Feld.
Doch der lachte grimmig hinter ihnen drein.
Mochten sie flüchten und sich verstecken, sie
entgingen ihm nicht. Nur einer war im Dorf,
der die Fiedel streichen konnte, und das war
der Nickel. Den würde er sich vorknöpfen und
sehr bald wissen, wer die Ungehorsamen waren.
In den nächsten Tagen klopften viele Herzen
unter den Kitteln und Schürzen einen schnelleren
Takt, und die harmlose Fröhlichkeit des Tanzes
drückte wie eine Zentnerlast auf die Gewissen.
Doch als nichts geschah und auch der Herr
Pfarrer in der Sonntagspredigt kein Wort dar
über verlor, beruhigten sich die Gemüter. Die
Sünder lächelten den hübschen Sünderinnen
schon wieder verschmitzt zu, wenn sie einander
trafen. Sie ahnten nicht, daß das Schicksal schon
zum Schlage ausholte.
Das Verhängnis hat einen langen Atem. Es
ist noch unterwegs, wenn man es längst ver
sunken wähnt. Das erfuhr auch die tanzlustige
Jugend im Ostertal.
Als der Hannes eines Abends von der Schicht
heimkehrte, hatte die Mutter rot verweinte
Augen. Seine bestürzte Frage nach der Ursache
beantwortete sie mit einem stummen Wink zum
Tisch. Dort lag ein amtliches Schreiben. Der
Hannes las — und dann fiel er kraftlos auf den
nächsten Stuhl. Denn sieben Gulden Strafe
brummte ihm die Behörde in Ottweiler für das
Tanzen auf. Sieben Gulden! Das war ein uner
schwingliches Vermögen.
Er hatte noch keinen klaren Gedanken fassen
können, da kamen die Genossen des fröhlichen
Abends hereingeschlichen. Der Hannes war ihr
Anführer und von ihm erhofften sie Rat. Denn
es war kein Gedanke, daß auch nur einer von
ihnen sieben Gulden bezahlen könnte, und ließe
man ihnen auch ein ganzes langes Leben Frist
dazu.
Die Verzweiflung der Anderen gab dem
Hannes seine Überlegung zurück. Er durfte ihr
Vertrauen in ihn nicht enttäuschen. Zunächst
einmal machte er dem Grimm mit einem greu
lichen Fluch Luft, der seiner Mutter die Haare
zu Berge trieb. Dann versank er in tiefes
Grübeln. In ängstlicher Erwartung sahen ihn