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Widder, Stier, Zwillinge, Krebs, Löwe, Jungfrau,
Waage, Skorpion, Schütze, Steinbock, Wassermann
und Fische. In den Zwickeln über dem Bogen der
Sternbilder ist eine Begebenheit erzählt, die sich
während des Aufenthalts des Lichtgottes auf Erden
ereignete. Mithra schießt mit einem
Pfeil Wasser aus dem Felsen, um das in
der Wüstenglut verdurstende Menschengeschlecht zu
retten. Eine Gestalt hat sich vor dem Felsen nieder
gekniet und fängt den Quell mit beiden Händen auf.
Die darüber liegende Bildreihe zeigt links einen
Strauch, hinter welchem der bekleidete Mithra ver
steckt ist.
Im nächsten Bild rechts davon schleppt Mithra
den mythischen Stier mit den Hinterbeinen auf sei
nen Schultern voran zur Grotte, wo er ihn später
löten wird.
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Weiter nach rechts folgen zwei Bilder, in denen
Mithra zu Helios, dem Sonnengott, in Beziehung
gesetzt ist. In der oberen Reihe links reicht Helios
seinem Verbündeten Mithra die Hand, um ihn im
Sonnenwagen durch den Äther zum Himmel empor
zuführen. Rechts steigt das Gefährt abwärts, aber
auf dem Wagen liegt Luna, die Mondgöttin. Auf
dem Felsrelief von Schwarzerden erscheinen Sonne
und Mond einfach als Büsten, links Sol (=Helios)
mit der Strahlenkrone, rechts Luna (=Selene) mit
der Mondsichel. An den vier Ecken der Reliefplatte
sind die vier Windgötter in Medaillons dar
gestellt, Die vier Köpfe, die sich oben und unten
an die Windgötter anschließen, sind die vier
Jahreszeiten: Frühling, Sommer, Herbst und
Winter. In den beiden noch übrig bleibenden Feldern
links sind wahrscheinlich Gottheiten dargestellt, die
jedoch schwer erklärt werden können. Rechts zwi
schen den Büsten von Sommer und Herbst ist oben
das Kind Mithra zu sehen, wie es aus dem Felsen
geboren wird und darunter der nackte Jüngling
Mithra, wie er nach den Blättern des Feigenbaumes
greift, um sich zu bekleiden.
Nicht alle diese Bilder können erklärt werden. Bei
manchen sind Beziehungen zu indo-europäischen Ur-
vorstellungen, Zusammenhänge mit indischen, per
sischen, griechischen und römischen Mythen und
Anklänge an die Genesis des alten Testaments vor
handen. Uber der mithräischen Grotte schwebt das
sternenbesäte Himmelsgewölbe. Mithra, der Fels-
geborene, ist die Personifikation des
Lichtes, das in der Morgenröte dort hervor
bricht, wo das Himmelsgewölbe auf den Bergen am
Horizont zu ruhen scheint, Hirten hatten seine Ge
burt bemerkt, sie kamen, um das göttliche Kind an
zubeten. Mithra deckt seine Blöße mit Feigenblättern
und versteckt sich, schon bekleidet, hinter einem
Strauch. Die Erlangung der das Menschengeschlecht
so belastenden Erkenntnis aus dem Genuß der
gefährlichen Frucht des Wissens ist hier auf Mithra
bezogen. Während seiner irdischen Mission bewirkt
Mithra das Wunder des aus dem Felsen springenden
Quells, den er durch seinen Pfeilschuß hervorruft.
Er vollbringt das Wunder der Erschaffung der nütz
lichen Pflanzen und Tiere durch das Stieropfer.
Schließlich tritt er mit Helios in Beziehung. Die
beiden Gottheiten schließen Blutsbrüder
schaft, Am Ende seiner irdischen Laufbahn hält
Mithra ein Festmahl mit Helios. Dann spielt
sich der Schlußakt in überirdischen Sphären ab.
Mithra tritt auf dem Wagen des Helios seine
Himmelfahrt an, um zurückzukehren zu Oro-
mazdes, dem höchsten Gott, in die reinen, licht
erfüllten Gefilde der Seligen.
In allen diesen Bildern sind, wie zu erkennen ist,
Vorstellungen verschiedener Völker und Religionen,
vermischt. Der Name Mithra wird in den Hymnen
der Weda (älteste Literaturdenkmäler der Inder) wie
des Avesta (altpersische Schriften) gefeiert. Daraus
geht hervor, daß die Grundlagen dieser Religion in
urgeschichtlicher Zeit in einem gemeinsamen i n -
disch-iranischen Ursprung zu suchen
sind. Aus der ältesten Naturreligion entwickelte sich
die altpersische Religion mit ihrer duali
stischen Auffassung: Oromazdes, das Prinzip des
Guten — Ahriman, das Prinzip des Bösen — Mithra,
der Richter über Gut und Böse nach der Auf
erstehung der Toten am Ende dieser Erdentage.
Die Magier des Euphrattales, deren Meister und
Lehrer Zoroaster (Zarathustra) war, haben die alt
persische Vorstellung mit der astronomischen
des Zweistromlandes vermengt. Hierzu gehört vor
allem der Kult der Sternbilder, die den 12 Monaten
des Jahres entsprachen. Auch der Planetenkult ist
chaldäisch-mesopotamischen Ursprungs. Die Seelen
der Verstorbenen haben auf ihrem Wege der Läute
rung die sieben Türen der sieben Planetensphären zu
durchschreiten und nur wenige sind würdig, den Weg
zu vollenden und zuletzt in die höchste und seligste
Region des himmlischen Lebens einzugehen.
perfifdje unt) gricdiifdie fiultur
Zoroaster hat eine Reform der Magier
religion durchgeführt. Danach war der Mono
theismus (Glaube an einen einzigen Gott) in reiner
Form vorhanden. „Es ist ein ungebundenes, von sich
selbst existierendes, allerhöchstes Wesen von Ewig
keit her. Unter ihm sind zwei Engel, der Engel des
Lichts, der Urheber alles Guten, und der Engel der
Finsternis, der Urheber alles Bösen. Sie liegen im
Streit miteinander bis ans Ende der Welt. Dann
kommt eine allgemeine Auferstehung und der Tag
des Gerichts, an dem jedem nach seinen Werken
vergolten wird. Der Engel des Bösen und die Ver
dammten werden verstoßen in eine seiner Welten
mit immerwährender Finsternis. Der Engel des Lichts
geht mit den Gläubigen in eine eigene Welt ein. Sie
empfangen dort in immerwährendem Licht den Lohn
ihrer guten Taten. Licht und Finsternis bleiben von
da an immer gesondert von einander."
Das immer wiederkehrende Bild des stiertötenden
Mithra ist griechischen Ursprungs. Es
entstand in der pergamenischen Schule des 2. Jahr
hunderts vor Christus (Pergamon in Kleinasien),
überhaupt wurde diese persisch-orientalische Reli
gion in den letzten Jahrhunderten vor Christus von
der griechischen Kultur stark beeinflußt. Ihre Tempel
waren eine Mischung der persisch-mithräischen
Höhle mit dem griechischen Tempel.
Die Abbildung 3 zeigt den Grundriß des Mithräums
von A quin cum (Alt-Ofen bei Budapest). Der
Tempel ist in drei Räume eingeteilt. Zuerst trat man
über einige Stufen hinabsteigend in den P r o n a o s,
den Vorraum (A). Diesem ersten Raum war häufig
eine Säulenhalle wie bei einem griechischen Tempel
vorgelagert. In der Mitte der Rückwand des Vor
raums war eine verschlossene Tür. Durch diese ge
langte man über zwei weitere Stufen zu einem zwei-