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Die Fjeiöenfoapelle am fjalbetg
bei Saarbrücken VON DR. JOSEF KELLER
fK uf der halben Höhe des Haibergs bei Saarbrücken
»-liegt die Heidenkapelle, ein wenig bekannter,
kaum besuchter Ort. Da steht im Dämmerlicht des
Hochwaldes eine Felswand, die sich an ihrer höchsten
Schichtung, ungefähr in der Mitte, zu einer breiten
und tiefen Grotte öffnet (Abb. 1). Verschiedenartige
Nischen sind innen und außerhalb derselben in den
Felsen eingearbeitet. Die Grotte hat eine eigenartige
Gestalt. Mit einem hohen Mittelschiff und niedrigen,
aus dem Gestein gehauenen Seitenschiffen sieht sie
aus wie eine uralte, längst verlassene Kirche. Eine
Felstreppe führt mit sieben Stufen außen neben der
Höhle gegen die glatte Wand empor. Sie endet an
dem Felsen, ohne zu einer Tür, Kanzel oder sonstwo
hinzuführen. Eigenartig, dies Fremde, Unbekannte.
Dazu kommt die vollkommene Stille des verborge
nen Orts. Eine unerklärliche Scheu überkommt den
Menschen, der hier vor den schweigenden Zeugen
einer untergegangenen Religion steht. An dem Ort
scheint etwas Heiliges zu haften.
Hömetroactie am fjalbetg
Vorne am Rand der Terrasse fallt der Blick durch
die rauschenden Baumkronen hinab auf die ruhig
und hell hinfließende Saar. Dort unten stand einst
das Kastell, sechseckig mit hohen, drei Meter
dicken Mauern und mit runden Türmen an den
Ecken, Fünfzig Generationen zurück müssen die Ge
danken gehen, um dieses Bild zu sehen. Soldaten in
römischer Uniform standen da Wache am Kastelltor
und an der Brücke. Von drüben aus dem Weihertal
zog die neubekieste Straße hervor, ging an dem
Gutshof mit den roten Ziegeldächern und rot ge-
tünschten Putzwänden vorbei und kam quer über
die Wiesen zur Brücke. Hochbeladene Wagen ächzten
daher. Die Maultiertreiber hatten Mühe, den Trans
port voranzubringen, denn die Zugtiere waren ab
getreten von der langen Fahrt in der Sonnenhitze.
Aber sie mußten es noch schaffen bis zu dem V i c u s
jenseits der Saar. Da gab es Einkehr und Erfrischung
für sie und Ruhe für die Tiere. Die militärische Kon
trolle machte keine Umstände, war es doch eine
Heereslieferung aus Metz für die beiden in Mainz
liegenden Legionen. Am Fuße des Haibergs breitete
sich friedlich die bürgerliche Siedlung aus mit Kauf
läden und Herbergen, Handwerksbetrieben und Knei
pen, Wohnhäusern und öffentlichen Gebäuden an
Straßen und Plätzen.
Dort unten standen auch die Opferstätten der alten
Götter Jupiter und Merkur, Rosmertha und Epona
und mancher anderen, zu denen die Gläubigen in
ihren Nöten flehten, denen sie auf Altären Opfer
darbrachten und die sie in vielen Tempelchen, Bil
dern und Weihestätten ehrten.
TTlitlira bet neue Gott
Hier oben aber erklang das Lob eines anderen
Gottes. Schon bei Sonnenaufgang verneigten sich die
Menschen in Ehrfurcht vor dem am östlichen Hori
zont heraufsteigenden Gestirn, dessen Glanz die
Mächte der Finsternis verscheuchte: Erbarme dich
unser! — Erbarme dich unser, M i t h r a , du hilf
reicher Gott, den man nie umsonst anruft, du siche
rer Port der Gläubigen, du Rettungsanker der Sterb
lichen in ihren Anfechtungen, du starke Stütze der
Geprüften, du Verteidiger der Wahrheit und Gerech
tigkeit, du Schützer alles Heiligen, du gefürchteter
Widersacher der höllischen Mächte, erbarme dich
unser!
Ein Pronaos stand da in der Mitte vor die Fels
wand gebaut, ein wunderschöner Tempel mit fi
gurengeschmückten Steinpfeilern und einem rot
leuchtenden Ziegeldach. Auf dem weißen Giebel
standen in goldenen Lettern die Worte:
OMNIPOTENTI DEO MITHRAE
Dem allmächtigen Gott Mithra.
Die Grotte war von dem Tempel verdeckt. Sie
barg das Allerheiligste. Niemand hatte Zutritt zu
ihr außer den Priestern und den Eingeweihten der
oberen Grade. Wie ein griechischer Tempel stand
das Heiligtum angelehnt an die rote Felswand, um
rahmt von der grünenden Natur des Waldes.
Hunderte und tausende Anhänger hatte diese Re
ligion in allen Ländern und Städten. Auch im Vicus
an der Saar gab es viele Leute, die sich von den
alten Göttern der Kelten und Römer abgewendet und
zu dem neuen Glauben bekehrt hatten, einem Glau
ben an die Unsterblichkeit der Seele und die Auf
erstehung allen Fleisches am Ende der irdischen
Tage. Mittags, wenn die Sonne im Zenith stand und
wieder abends, wenn sie unterging, wurde der Gott
angerufen: Erbarme dich unser, Aus dem Tempel
schritten in ergriffenem Schweigen die Priester,
Väter und Brüder nach vollbrachtem Gottesdienst.
Mysterien waren es, geheime Feiern in tiefer
Frömmigkeit vollzogen.
Wer war dieser Gott Mithra, daß er so große
Macht über die Herzen der Menschen besaß? Wo
kam er her und wie war seine Religion?
Det ermadite IDanbertrub bet Germanen
Bei Schwarzerden, der ehemals römischen
Siedlung an der Nordostgrenze des Saarlandes, lag
ein ähnliches Heiligtum des Gottes. — Der römische
Limes rechts des Rheines hatte sich in seiner am
weitesten nach Osten vorgeschobenen Linie als mi
litärisch besetzte Grenze 110 Jahre lang bewährt.
Dann brach ein Sturm los. Man schrieb das Jahr 260
nach Christus. Wandertrieb und Kampflust der Ger
manen waren erwacht. Der aus Einzelstämmen zu
sammengeschlossene Volksverband der Alamannen
war auf dem Vormarsch, voran die Reiterscharen
mit uraltem Gewaffen, dann die Fußtruppen und
hinterher der Treck des Volkes. Im ersten Stoß
schon war der Limes überrannt. Der Zusammenbruch
der römischen Front gegen die Alamannen war über
raschend schnell geschehen und die Folge davon
war der Verlust des Dekumatenlandes. Die frucht
baren Gefilde, die heute die Länder Württemberg
und Baden umfassen, wurden jetzt von Alamannen
besiedelt. Die neue Grenze verlief schließlich ent
lang des Rheinstroms.
Der Verlust des Dekumatenlandes rechts des Rhei
nes bedeutete einen harten Schlag gegen die Mithra-
religion, denn viele Heiligtümer gab es dort und