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Sine historische Plauderei:
aeroben imHlittelalter
Von M. W.
D er moderne Mensch des 20. Jahrhunderts,
der im Zeitalter des Radios, des Fern
sehens, des Radiums und bald auch der
atomischen Energie lebt, kann sich nur
sehr schwer einen Begriff über das Leben im
Mittelalter machen. Ist es für ihn doch schon
fast unmöglich, sich in die Zeit seiner Urgroß
eltern hineinzuversetzen, die, wenn auch noch
nicht das elektrische Licht, so doch die Gas
beleuchtung kannten. Bedeutet für ihn die Er
zählung von den Ängsten moralischer und Er
schütterungen körperlicher Art, welche die
erste Fahrt mit der Dampfeisenbahn von Saar
brücken nach Metz oder von Fürth nach Nürn
berg mit sich brachten, heute eine Quelle
reinster und ungetrübter Heiterkeit, so stellt
ihn die Frage: „Wie mag das Leben einige Jahr
hunderte vorher in Stadt und Land gewesen
sein?" vor schwer zu erhaltende Antworten.
Das große Unglück unserer Geschichtsschrei
bung von heute ist, daß sie uns fast ausschließ
lich Berichte von Fürsten und Soldaten, von
Dynastien und Heeren, von Eroberungs- und
Religionskriegen brachte. So finden wir aller
orten Erzählungen von „Prunkschlössern“ der
französischen Könige, von den „Tabakskolie-
gien" des Soldatenquälers von Potsdam — als
ob derartige Extravaganzen wirklich „Ge
schichte" der betreffenden Völker darstellten!
Wie Bürger und Bauern in der Vergangenheit
lebten, wie deren Kinder und Frauen ihre Tage
verbrachten — darüber wird wenig oder nichts
berichtet. Und je weiter wir in die Jahrhunderte
zurückgehen, um so rarer werden die Quellen,
besonders aus der Zeit des Mittelalters, also
aus der Zeit von etwa 400 — 1450 n. Chr. Man
nennt diese Periode ein „dunkles" Zeitalter,
vielleicht eine etwas leichte Generalisierung,
aber sicher ist, daß die meisten unter uns sich
heute nur eine dunkle Vorstellung von jener
Zeit machen, und darum wollen wir in den
nachstehenden Zeilen versuchen, einige Schil
derungen aus dem Leben im Mittelalter zu
geben, wie es sich etwa in unseren Gegenden
abgespielt haben mag.
Das Gebiet der Saar war damals noch sehr
stark bewaldet. Es neigte in kultureller Hinsicht
vorwiegend nach Frankreich, nach TOUL und
METZ hauptsächlich und nach jenen Land
strichen am Rhein, die eine alte Kultur hatten.
Einerseits Verdun, Metz und Toul, andererseits
WORMS, MAINZ und SPEYER — in der Mitte
die großen, sehr schwach besiedelten Wald
gebiete im Osten von Nancy, im „Warndt", der
„schwarze" Wald zwischen Mosel und Nahe,
die Wälder an der Saar und der undurchdring
liche, große Pfälzer Wald, dazwischen einige
werdende Städte, Höfe und verstreute Sied
lungen. Im späteren Mittelalter hören wir —
anno 1277 — in einer französischen Urkunde
von der Vorburg (bourg) Saarbrücken. Damals
war sie ein Lehen des Bischofs von Metz. Anno
1267 hört man bereits von einem Bischof VOL-
MAR, der von St. JOHANN stammt —• erste
Erwähnung dieses Ortsnamens. Im Jahre 1316
wurde Saarbrücken schon als STADT genannt,
muß also schon über eine gewisse Anzahl von
Einwohnern verfügt haben. Soweit über die
ersten Anzeichen von Siedlungen und Städten.
Das „Königsgut" bei Saarbrücken — in der
Nähe des heutigen Brebach — wurde schon im
11. Jahrhundert von Heinrich IV. an den hei
ligen Arnual ubergeben. Dieses Gut hatte seine
besondere Bedeutung, iag es doch an einer der
wichtigen — sogar der bedeutendsten — Durch
gangsstraßen, die von Frankreich nach den
Landen am Rhein führten. Diese Straße, ver
bindende Linie zwischen Metz und Mainz —
Orte von entscheidender Bedeutung für die Ent
wicklung des Saarlandes —• war bereits zu
jenen mittelalterlichen Zeiten, ehe man noch
an Napoleon und seine Kaiserstraße denken
konnte, eine überaus wichtige Verkehrsader,
brachten doch auf ihr die Handelsleute aus
dem heutigen Lothringen feine Gewebe, Glas
waren, guten Wein aus Innerfrankreich, vor
allem aber prunkvolle Seiden- und Sammetstoffe
ins Rheinland. Wenigstens versuchte man, sie
dorthin zu bringen, denn das war nur insoweit
möglich, als es die Herren Raubritter gestatteten,
die ihre Verstecke überall da hatten, wo es
etwas Wertvolles zu stehlen gab. All dieses
Handelsgut passierte die Saar zunächst über
die Straße am HALBERG, bis es anno 1354 nach
St. Johann abgeleitet wurde. Durch diese Um
leitung wurde Saarbrücken-St. Johann, wie so
viele Städte des Mittelalters, ein Transitplatz,
ein Flußübergangsort, mehr bedeutend für den
Durchgang als für den Aufenthalt — und selbst
der Durchgang war nicht immer garantiert. War