38
Q)ie Stachlig all singt an der Saar
Von Th. Schmidt, Bad Rilchingen (Saar)
Es ist eine unverkennbare Tatsache, wie das Gemüt unseres
saarländischen Volksschlages in seiner charakteristischen
Natursinnigkeit keiner zweiten Tiergattung der freien Natur
ein so hohes Interesse und eine solche Sympathie und Liebe
zukehrt wie gerade der Vogelwelt.
9)cgel(icd und Jdenschenherz
Gestalt, Federkleid und Ausfärbung, Fluy-
und Gesangesvermögen, Nestbau und Bruthege,
sowie Intelligenz, Gefühlsleben und Wesensart
sind es, die den Vogel zu jenem ausgesproche
nen Liebling des Menschen machen. Unter
diesen ausgezeichneten Sonderheiten ist der
Gesang wiederum das markanteste und sym
pathischste Attribut der danach benannten
Vogelgruppe der Oscines oder Singvögel. Und
es gibt in der Tat keinen Naturlaut, der so stark
und innig auf das Gemüt des Menschen zu
wirken vermag wie das seelenvolle Lied des
Vogels.
Was aber ist in dem Vogellied wirksam, daß
es Seele und Gemüt des Menschen so zu packen
vermag? Die Beantwortung dieser Frage will
mir immer als eine gewisse Profanisierung des
Vogelliedes erscheinen. Wie eine leise, mah
nende Bitte steht allemal da jene feinsinnige
Verszeile von Christoph Flaskamp vor mir:
„Nicht fragen, nein, nur stille sein und —
lauschen!" Und ein herrliches Bekenntnis demü
tiger Ohnmacht an Gedanken und Worten dem
Vogellied gegenüber gibt Goethe, wenn er von
dem Sang der Nachtigall nur zu sagen weiß,
daß er eben „unbegreiflich" sei. Vielleicht aber
offenbaren sich uns Wesen und Sinn des VogeJ-
liedes doch etwas in den innigen Versen von
Marie v. Ebner-Eschenbach:
Ein kleines Lied, wie gehts nur an,
daß man so lieb es haben kann?
Was liegt darin? —• Erzähle!
Es liegt darin ein wenig Klang,
ein wenig Wohllaut und Gesang
und — eine ganze Seele! ...
Diese Verse schwingen in eins zusammen mit
dem, was Richard Wagner in seiner Oper „Sieg
fried" dem hürnernen Heiden durch die
Stimme des Waldvogels künden läßt: „Nur
Sehnende kennen den Sinn meines Liedes!“
Ja: wundersam berührenden Vogelsang zu
hören, heißt zuweilen, beseligt alles vergessen,
mas man weiß, und ahnend jenes Geheimnis
volle und Mystische zu fühlen, was man nicht
mehr weiß, was aber als gleicher Wellenschlag
in der Seele von Natur und Mensch lebendig
ist und beglückend ineinander überströmt. Es
ist eben jenes Göttliche in der Schöpfung, zu
dessen Verherrlichung jede Kreatur in ihrem
Leben und Tun dient.
Weitere Gedanken aber noch weckt das
Suchen nach einer Deutung des Vogelliedes.
Die Kunst der Musik entspringt der Befriedi
gung, die ein Wesen erfährt, wenn es sein
Innenleben in Töne überträgt und ausklingen
läßt. Ein wenig an Klang und Wohllaut ist
schon in den verhaltenen Vogelstimmen ge
borgen, die selbst im Winter nicht ganz ver
stummen. Erinnert sei da nur an den Schmetter
laut des winzigen Zaunkönigs aus dem ver
schneiten Brombeergerank, die überstürzt her
vorquellenden Triller der Wasseramsel auf dem
Felsblock am verschneiten Gebirgsbach, die
schrillen Pfiffe des Kleibers bald nach der
Wintersonnenwende. Diese Winterstimmen sind
jedoch mehr noch der Ausdruck einfacher augen
blicklicher Erregungen der Vogelseele. Auch
die Rufe der Kohlmeise im Januar, die wie
feine Hammerschläge auf einen hellklingenden
Amboß tönen, sind kaum noch ein Singen.
Doch sind sie inmitten der kalten Jahreszeit
schon so beladen mit allem, was die schöneren
Tage bringen werden, daß kein Laut uns süßer
und inniger erscheinen könnte.
Dann aber, wenn im Februar Linde und Licht
das Schüchterne und Zögernde dieser Vogel
stimmen gebieterisch befeuern und Freundschaft
und Zärtlichkeit der Gatten zueinander wach
werden, dann wächst die Fülle und Schönheit
der Vogelstimme. Ganz im Banne einer jäh oder
hehlings wirkenden Gewalt, die es hinaushebt
über sich selbst, entlädt das Vogelmännchen
nun im Gesang als befreiender Entspannung
die vitale Überfülle all der vielfältigen und
verwickelten Erregungen, die es nicht mehr
in einen einfachen Ruf zusammenpressen kann:
das Ja zum Ich, zur eigenen Kraft und Schön
heit, zu seiner Lebenslust und seinem Platz
an der Sonne. Wie ein Genießen des Tones,
den die eigene Kehle bildet, und ein Streben
nach Vollendung geht es durch dieses Singen.
Es führt zum individuellen Können, in dem bei
aller scheinbaren Gleichform der Phrasen,
Kadenzen und Klangfärbung innerhalb einer Art
doch die größte Verschiedenheit des Aus
druckes obwaltet. Auf diesem Wege dringt