Full text: 1950 (0078)

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Q)ie Stachlig all singt an der Saar 
Von Th. Schmidt, Bad Rilchingen (Saar) 
Es ist eine unverkennbare Tatsache, wie das Gemüt unseres 
saarländischen Volksschlages in seiner charakteristischen 
Natursinnigkeit keiner zweiten Tiergattung der freien Natur 
ein so hohes Interesse und eine solche Sympathie und Liebe 
zukehrt wie gerade der Vogelwelt. 
9)cgel(icd und Jdenschenherz 
Gestalt, Federkleid und Ausfärbung, Fluy- 
und Gesangesvermögen, Nestbau und Bruthege, 
sowie Intelligenz, Gefühlsleben und Wesensart 
sind es, die den Vogel zu jenem ausgesproche 
nen Liebling des Menschen machen. Unter 
diesen ausgezeichneten Sonderheiten ist der 
Gesang wiederum das markanteste und sym 
pathischste Attribut der danach benannten 
Vogelgruppe der Oscines oder Singvögel. Und 
es gibt in der Tat keinen Naturlaut, der so stark 
und innig auf das Gemüt des Menschen zu 
wirken vermag wie das seelenvolle Lied des 
Vogels. 
Was aber ist in dem Vogellied wirksam, daß 
es Seele und Gemüt des Menschen so zu packen 
vermag? Die Beantwortung dieser Frage will 
mir immer als eine gewisse Profanisierung des 
Vogelliedes erscheinen. Wie eine leise, mah 
nende Bitte steht allemal da jene feinsinnige 
Verszeile von Christoph Flaskamp vor mir: 
„Nicht fragen, nein, nur stille sein und — 
lauschen!" Und ein herrliches Bekenntnis demü 
tiger Ohnmacht an Gedanken und Worten dem 
Vogellied gegenüber gibt Goethe, wenn er von 
dem Sang der Nachtigall nur zu sagen weiß, 
daß er eben „unbegreiflich" sei. Vielleicht aber 
offenbaren sich uns Wesen und Sinn des VogeJ- 
liedes doch etwas in den innigen Versen von 
Marie v. Ebner-Eschenbach: 
Ein kleines Lied, wie gehts nur an, 
daß man so lieb es haben kann? 
Was liegt darin? —• Erzähle! 
Es liegt darin ein wenig Klang, 
ein wenig Wohllaut und Gesang 
und — eine ganze Seele! ... 
Diese Verse schwingen in eins zusammen mit 
dem, was Richard Wagner in seiner Oper „Sieg 
fried" dem hürnernen Heiden durch die 
Stimme des Waldvogels künden läßt: „Nur 
Sehnende kennen den Sinn meines Liedes!“ 
Ja: wundersam berührenden Vogelsang zu 
hören, heißt zuweilen, beseligt alles vergessen, 
mas man weiß, und ahnend jenes Geheimnis 
volle und Mystische zu fühlen, was man nicht 
mehr weiß, was aber als gleicher Wellenschlag 
in der Seele von Natur und Mensch lebendig 
ist und beglückend ineinander überströmt. Es 
ist eben jenes Göttliche in der Schöpfung, zu 
dessen Verherrlichung jede Kreatur in ihrem 
Leben und Tun dient. 
Weitere Gedanken aber noch weckt das 
Suchen nach einer Deutung des Vogelliedes. 
Die Kunst der Musik entspringt der Befriedi 
gung, die ein Wesen erfährt, wenn es sein 
Innenleben in Töne überträgt und ausklingen 
läßt. Ein wenig an Klang und Wohllaut ist 
schon in den verhaltenen Vogelstimmen ge 
borgen, die selbst im Winter nicht ganz ver 
stummen. Erinnert sei da nur an den Schmetter 
laut des winzigen Zaunkönigs aus dem ver 
schneiten Brombeergerank, die überstürzt her 
vorquellenden Triller der Wasseramsel auf dem 
Felsblock am verschneiten Gebirgsbach, die 
schrillen Pfiffe des Kleibers bald nach der 
Wintersonnenwende. Diese Winterstimmen sind 
jedoch mehr noch der Ausdruck einfacher augen 
blicklicher Erregungen der Vogelseele. Auch 
die Rufe der Kohlmeise im Januar, die wie 
feine Hammerschläge auf einen hellklingenden 
Amboß tönen, sind kaum noch ein Singen. 
Doch sind sie inmitten der kalten Jahreszeit 
schon so beladen mit allem, was die schöneren 
Tage bringen werden, daß kein Laut uns süßer 
und inniger erscheinen könnte. 
Dann aber, wenn im Februar Linde und Licht 
das Schüchterne und Zögernde dieser Vogel 
stimmen gebieterisch befeuern und Freundschaft 
und Zärtlichkeit der Gatten zueinander wach 
werden, dann wächst die Fülle und Schönheit 
der Vogelstimme. Ganz im Banne einer jäh oder 
hehlings wirkenden Gewalt, die es hinaushebt 
über sich selbst, entlädt das Vogelmännchen 
nun im Gesang als befreiender Entspannung 
die vitale Überfülle all der vielfältigen und 
verwickelten Erregungen, die es nicht mehr 
in einen einfachen Ruf zusammenpressen kann: 
das Ja zum Ich, zur eigenen Kraft und Schön 
heit, zu seiner Lebenslust und seinem Platz 
an der Sonne. Wie ein Genießen des Tones, 
den die eigene Kehle bildet, und ein Streben 
nach Vollendung geht es durch dieses Singen. 
Es führt zum individuellen Können, in dem bei 
aller scheinbaren Gleichform der Phrasen, 
Kadenzen und Klangfärbung innerhalb einer Art 
doch die größte Verschiedenheit des Aus 
druckes obwaltet. Auf diesem Wege dringt
	        
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