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Die Herrgottsapotheke
Plauderei über heimische Frühjahrsheilkräuter
von Claus SCHMA UCH • Saarbrücken
W er die heimischen Wochenmärkte besucht,
sieht hier und da ein Kräuterweiblein, das
allerlei Teesorten anbietet, alterprobte
Hausmittel für Gesunde und Kranke, zu nehmen
vor oder nach dem Essen, schluckweise oder
gleich eine Tasse voll, rein oder mit anderen
Heilkräutern gemischt, je nachdem, \yie es die
Art der Krankheit oder die Kur verlangt und
erfordert.
Wenn man sich mit der einen oder anderen
Kräuterfrau in ein Gespräch einlässt, staunt man
nicht selten über ihr medizinisches Wissen und
erfährt meist, dass sie ihre Kräuterkunde schon
von der Mutter und Ahne bezog. « Die wussten
noch viel besser Bescheid als unsereiner, und
mancher, den die Aerzte schon aufgegeben hat
ten, läuft heute wieder herum und ist wieder
frisch und gesund. »
Mag diese Versicherung auch zum Geschäft
gehören und nicht wenig übertrieben sein, so
fühlt man doch, dass diese «weisen» Frauen
uns gewöhnlichen Sterblichen etwas voraus ha
ben, nämlich ein volkstümliches Wissen um die
. Heilkräfte der Natur, das uns so fremd geworden
ist, dass wir fast ehrfürchtig die Teearten
mustern, die uns von diesem oder jenem Gebre
chen befreien sollen.
Wollen wir nicht ein wenig zu dem Kräuter
weiblein in die Lehre gehen? Die Aerzte greifen
immer mehr auf die in vielen Jahrhunderten
erprobte Heilkunst unserer Altvordern zurück.
Und ihnen folgten unsere Schulen, die im Krieg
tausend und abertausend Zentner heilkräftige
Pflanzen gesammelt haben, eine Massnahme, die
unsere Kinder wieder inniger mit der Natur
verband.
« Zur Kräuterfrau in die Lehre gehen? » Muss
man dazu nicht im Dorf leben, dort wo der
Mensch noch mit der Natur auf Du und Du
steht und Acker und Wiese, Waldsaum und
Wegrain, Driesch und Heideland noch unmittel
bar den Menschen ansprechen und ihm sozusa
gen ihren Kräutersegen täglich unter die Nase
reiben? Diese Meinung ist falsch, wie so man
ches Vorurteil, das der Städter der Natur entge
genbringt, die gar nicht daran denkt, ihn als
Stiefkind zu behandeln. Sie streut ihre Gaben
überall aus, wo man ihr ein Stückchen Erde
übrig lässt und ist dabei so verschwenderisch,
dass wir nur das Weichbild der Stadt zu durch
streifen brauchen, um all die Tee- und Heilkräu
terarten zu entdecken, die uns die Kräuterfrau
anpreist.
Beginnen wir einmal mit dem Scharbockskraut,
Die Bauern nennen es, weil es hauptsächlich
zwischen dem Unterholz des Laubwaldes wächst,
auch «Kättchen hinter der Heck !» und die
Kräuterfrau wird es gar als ein Kräutlein emp
fehlen, dessen zerriebene Blätter und Wurzeln
die hässlichen Warzen vertreiben. Aber schon in
einem der ältesten Heilbüchlein steht geschrie
ben : «Die Blätter dieses Krautes, als Salat
gegessen, sind gut wider den Scharbock,» wo
mit der niederdeutsche Schorbuk oder der Skor
but gemeint ist. In manchen Gegenden heisst das
bescheidene Kräutchen auch Stemblümchen, und
seine gelben Blütensterne sind sein augenfällig
stes Kennzeichen. Es lebt in inniger Gemein
schaft mit dem Buschwindröschen und überzieht
so zahlreich den Boden unserer Wälder, dass
man es nicht übersehen kann. In der gemüse-
armen Zeit des April und Mai schenken uns seine
zarten, nierenförmigen Blättlein einen vorzügli
chen Salat, der dem hochgeschätzten, harntrei
benden Löwenzahnsalat nicht nachsteht, leicht
zu suchen ist, nichts kostet und unserem Körper
die mangelnden Vitamine schenkt.
In allen Waldwinkeln blüht zur gleichen Zeit
das liebliche Blauveilchen, das schon als götter
gesegnetes Blümlein bei den alten Griechen in
hohen Ehren stand und bei keinem Frühlingsfest
fehlen durfte. Veilchenblütentee wirkt schweiss-
treibend und ist ein erfolgreiches Mittel bei star
kem Husten, vor allem beim Keuchhusten der
kleinen Kinder, wobei der Tee mit Bienenhonig
vermischt getrunken wird. Er leistet auch gute
Dienste bei Bronchialkatarrh und Halsverschlei-
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