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DIE STRAFE
Nach einer Berggeistsage erzählt von Hans B REIN IG, Püttlingen
ines Morgens im späten Herbst schritt
der Vollhauer Peter Seyler ganz müde
und wie von den Schlossen zerschlagen
zur Grube. So müde war er wohl wie
die herbstliche Natur ; und der Sturmwind, der
durch den Wald fegte und das nasse, gelbe Laub
hemiederwirbelte, rüttelte und schüttelte auch
ihn so, dass er zuguterletzt doch zu sich kam
und Ueberlegung anstellte.
«Nein !» dachte er beim Nehmen seiner
Lampe, « das ist doch kein Zustand, solch über
langes und alltägliches Freien und dazu noch so
weit im Nachbardorf. Ach, war ich nur mal
glücklich im Hafen der Ehe gelandet, ja... »
Seine Kameraden grüsste er kaum vernehmbar,
so gern schliefe er noch. Und durch die Grund
strecke nachher fielen ihm förmlich die Augen
zu. Wie ein Nachtwandler schwankte er dem
Haufen der Kameraden nach.
«Gut, dass ich heute wieder alleine und
ohne den Schlepper bin 1» ging es ihm durch
den Kopf, « die paar Wagen für mich habe ich
schnell gemacht und gefahren. Dann aber wird
sich sofort in der warmen Strecke auf die
Schiesskiste gehauen und mal ordentlich ge
pennt ... » er gähnte laut auf.
Dann dachte er weiter : « Noch einmal aber,
ja, nur noch dieses eine Mal werde ich ein Häus
lein in der Grube bauen. Jawohl, ein waschech
tes Bergmannshäuslein, in dem man wohnen
könnte, lebend oder tot... »
« ...lebend oder tot... » dröhnte es ihm da
rundum entgegen. Peter Seyler erschrak kurz,
denn es waren ja, wenn er näher zuhorchte, nur
der Kameraden Schritte, die scheinbar so rede
ten. Und so verscheuchte er diese Grillen wieder.
« Ja, ja, nur noch heute baue ich einen Hohl
raum im alten Mann, » flüsterte er nun vor sich
her, << damit erspare ich ein paar Stunden Arbeit,
die ich auf der Kiste verschlafen kann. » Und
nur zu bald machte er diesen Vorsatz wahr.
Dort, wo er den Steiger schon am Tage vorher
irreführte, baute er sofort wieder ein sogenann
tes Häuslein, einen ansehnlichen Hohlraum.
Das ersparte ihm soviel Bergeschaufeln im Ver
satz, dass er bald sein Quantum Kohlen geladen
hatte. Und er riskierte sein Schläfchen. Hei, wie
wohl das tat ! Gewiss also, diesen Abend würde
er nicht mgbr so lange freien, beizeiten heimge
hen und dort ruhen, dass er seiner Knappen
pflicht in der Grube nachkäme. Andernfalls liefe
er Gefahr, dass ihn irgendwie doch einmal der
Berggeist stelle und abstrafe. Jawohl, dieser
gütige, aber gerechte Geist sah sehr lange zu. Er
war ja manchmal die Geduld selber. —
Eine späte Herbstsonne vergoldete die Fluren,
als Peter zutage fuhr. Schwarz wie er war eilte
er heim und vergass bei diesem schönen Wetter
alle guten Vorsätze. Er ass, wusch sich und zog
sich um. Bald war er wieder so frisch und mun
ter wie alle Tage.
« Dummes Zeug ! das man sich während der
Müdigkeit in der Tiefe vomimmt», sprach er
halblaut und dachte schon wieder heimlich,
« ach, ich wandere wieder hin und freie, maye
und erzähle wie jeden anderen Abend. »
« So verrückt war man früher nicht !» sagte
sein Vater, als Peter zur Türe hinausging. « Wo
führt denn das hin, jeden und alle Tage freien
zu gehen ... »
Aber Peter rührte das nicht. Seine Schwestern
konnten sich ja daheim im Stall und auf dem
Felde alleine plagen. Der Bruder ging lieber im
Stehkragen über Land und zii anderer Leute
Tochter.
So schritt denn der junge Bergknappe wieder
wie immer durch den Wald. Zu seiner Rechten
lag ein weites, ödes, abgeholztes Gehege. Hier
hatte einmal eine Zeche gestanden. Auf Schritt
und Tritt mahnten ihn ja verschüttete Stollen und
bläulichgraue Bergehalden an längst vergangene
Schaffenstage in dieser Gegend. Hier wurde auch
einmal gewerkt, geschürft, gegraben.
« Kohlen ! Kohlen ! » rief es ihm geheimnisvoll
entgegen. Und « Pflicht ! Pflicht ! » klopfte es
ihm hörbar im Herzen. Dies war ja sein Gewis
sen, welches er in der Grube erstickt geglaubt,
indem er sich selber betrog beim Hohlraum
bau. —
Ach, ganz plötzlich wurde ihm Angst in die
ser Gegend, die er doch sonst so furchtlos
beging. Wahrhaftig, ihm wurde, als fasse ihn ein
Unsichtbarer, Unhörbarer, von hinten am Rock
kragen und zöge ihn wieder rückwärts nach
dort, wo die weite Talsenke lag, die wie besät
war mit kleinen Trichtern und Wasserlöchern,
alles, alles ja vom Grubenbau darunter her
rührend.
Aber Peter straffte seine Muskeln und
stemmte seine Füsse in den Waldwegboden.
« Vorwärts, vorwärts... » dachte er, « nie, nie