Full text: 1949 (0077)

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DIE STRAFE 
Nach einer Berggeistsage erzählt von Hans B REIN IG, Püttlingen 
ines Morgens im späten Herbst schritt 
der Vollhauer Peter Seyler ganz müde 
und wie von den Schlossen zerschlagen 
zur Grube. So müde war er wohl wie 
die herbstliche Natur ; und der Sturmwind, der 
durch den Wald fegte und das nasse, gelbe Laub 
hemiederwirbelte, rüttelte und schüttelte auch 
ihn so, dass er zuguterletzt doch zu sich kam 
und Ueberlegung anstellte. 
«Nein !» dachte er beim Nehmen seiner 
Lampe, « das ist doch kein Zustand, solch über 
langes und alltägliches Freien und dazu noch so 
weit im Nachbardorf. Ach, war ich nur mal 
glücklich im Hafen der Ehe gelandet, ja... » 
Seine Kameraden grüsste er kaum vernehmbar, 
so gern schliefe er noch. Und durch die Grund 
strecke nachher fielen ihm förmlich die Augen 
zu. Wie ein Nachtwandler schwankte er dem 
Haufen der Kameraden nach. 
«Gut, dass ich heute wieder alleine und 
ohne den Schlepper bin 1» ging es ihm durch 
den Kopf, « die paar Wagen für mich habe ich 
schnell gemacht und gefahren. Dann aber wird 
sich sofort in der warmen Strecke auf die 
Schiesskiste gehauen und mal ordentlich ge 
pennt ... » er gähnte laut auf. 
Dann dachte er weiter : « Noch einmal aber, 
ja, nur noch dieses eine Mal werde ich ein Häus 
lein in der Grube bauen. Jawohl, ein waschech 
tes Bergmannshäuslein, in dem man wohnen 
könnte, lebend oder tot... » 
« ...lebend oder tot... » dröhnte es ihm da 
rundum entgegen. Peter Seyler erschrak kurz, 
denn es waren ja, wenn er näher zuhorchte, nur 
der Kameraden Schritte, die scheinbar so rede 
ten. Und so verscheuchte er diese Grillen wieder. 
« Ja, ja, nur noch heute baue ich einen Hohl 
raum im alten Mann, » flüsterte er nun vor sich 
her, << damit erspare ich ein paar Stunden Arbeit, 
die ich auf der Kiste verschlafen kann. » Und 
nur zu bald machte er diesen Vorsatz wahr. 
Dort, wo er den Steiger schon am Tage vorher 
irreführte, baute er sofort wieder ein sogenann 
tes Häuslein, einen ansehnlichen Hohlraum. 
Das ersparte ihm soviel Bergeschaufeln im Ver 
satz, dass er bald sein Quantum Kohlen geladen 
hatte. Und er riskierte sein Schläfchen. Hei, wie 
wohl das tat ! Gewiss also, diesen Abend würde 
er nicht mgbr so lange freien, beizeiten heimge 
hen und dort ruhen, dass er seiner Knappen 
pflicht in der Grube nachkäme. Andernfalls liefe 
er Gefahr, dass ihn irgendwie doch einmal der 
Berggeist stelle und abstrafe. Jawohl, dieser 
gütige, aber gerechte Geist sah sehr lange zu. Er 
war ja manchmal die Geduld selber. — 
Eine späte Herbstsonne vergoldete die Fluren, 
als Peter zutage fuhr. Schwarz wie er war eilte 
er heim und vergass bei diesem schönen Wetter 
alle guten Vorsätze. Er ass, wusch sich und zog 
sich um. Bald war er wieder so frisch und mun 
ter wie alle Tage. 
« Dummes Zeug ! das man sich während der 
Müdigkeit in der Tiefe vomimmt», sprach er 
halblaut und dachte schon wieder heimlich, 
« ach, ich wandere wieder hin und freie, maye 
und erzähle wie jeden anderen Abend. » 
« So verrückt war man früher nicht !» sagte 
sein Vater, als Peter zur Türe hinausging. « Wo 
führt denn das hin, jeden und alle Tage freien 
zu gehen ... » 
Aber Peter rührte das nicht. Seine Schwestern 
konnten sich ja daheim im Stall und auf dem 
Felde alleine plagen. Der Bruder ging lieber im 
Stehkragen über Land und zii anderer Leute 
Tochter. 
So schritt denn der junge Bergknappe wieder 
wie immer durch den Wald. Zu seiner Rechten 
lag ein weites, ödes, abgeholztes Gehege. Hier 
hatte einmal eine Zeche gestanden. Auf Schritt 
und Tritt mahnten ihn ja verschüttete Stollen und 
bläulichgraue Bergehalden an längst vergangene 
Schaffenstage in dieser Gegend. Hier wurde auch 
einmal gewerkt, geschürft, gegraben. 
« Kohlen ! Kohlen ! » rief es ihm geheimnisvoll 
entgegen. Und « Pflicht ! Pflicht ! » klopfte es 
ihm hörbar im Herzen. Dies war ja sein Gewis 
sen, welches er in der Grube erstickt geglaubt, 
indem er sich selber betrog beim Hohlraum 
bau. — 
Ach, ganz plötzlich wurde ihm Angst in die 
ser Gegend, die er doch sonst so furchtlos 
beging. Wahrhaftig, ihm wurde, als fasse ihn ein 
Unsichtbarer, Unhörbarer, von hinten am Rock 
kragen und zöge ihn wieder rückwärts nach 
dort, wo die weite Talsenke lag, die wie besät 
war mit kleinen Trichtern und Wasserlöchern, 
alles, alles ja vom Grubenbau darunter her 
rührend. 
Aber Peter straffte seine Muskeln und 
stemmte seine Füsse in den Waldwegboden. 
« Vorwärts, vorwärts... » dachte er, « nie, nie
	        
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