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kammertüre. Oder sie lösten den Knebel, so
dass die Kuh loskam und in der Scheune ihr
Unwesen anstellte.
Traud drückte es fast das Herz ab.
Einmal kletterte sie auf den Heu stock, wie
alle Abend, um Heu fürs Vieh zu rupfen.
Während sie mit dem Haken ins Heu stocherte,
fiel ihr plötzlich ein, dass dies immer Babs
Arbeit gewesen, Babs, der jetzt unter der
kalten Erde lag.
« O, du mein lieber Bab ! » kam es ihr unwill
kürlich über die zitternden Lippen. Sie lehnte
ihr Gesicht an den Balken. « O, Bab, wie bin
ich so verlassen, was bin ich für ein armes
Mensch ! » Sie umarmte den Balken, das tote,
kalte Holz, als umarme sie Bab, und sie sagte
sich — weiss Gott, zum wievielten Male schon —
wie gut ihr Bab gewesen sei und wie sehr sie
nach ihm verlange. Danach trocknete sie mit
dem Rockzipfel die Tränen aus den Augen und
wollte wieder mit Rupfen fortfahren... da
hörte sie plötzlich ein Knistern, irgendwo auf
dem Heustock, ganz nahe. Sie erschrak. Sie
stand unbeweglich, horchte. Mit einmal sah sie
oben einen Kopf hervorschauen, der blickte
schnurstracks auf Traud. Da stiess sie einen
hellen Schrei aus. Sie liess den Heuhaken
fallen, wollte die Leiter hinab. Doch in der
Erregung brachte sie nichts zuwege. Sie stand
da, wie ein Stück Holz, hielt dem Manne
beide Arme abwehrend entgegen.
« Hilfe ! », wollte sie rufen, aber es blieb ihr
in der Kehle hängen.
« Keine 1 Angst ! » hörte sie eine Mannsstimme,
sagen. « Ich tu Euch nichts ! » Er lachte be
treten, und dann kam er von oben herunter
gerutscht, ein grosser, schwerer Mann. Das Heu
hing ihm am Schnurrbart. Er pflückte es fort.
« Ihr braucht wirklich keine Angst vor mir zu
haben, jetzt nicht mehr », tröstete er sie. « Ich
habe Euch erschreckt? Ich habe aber nur so
ein bisächen in Eurem Heu geschlafen. »
Damit ging er an ihr vorüber, Traud sah,
wie er das Bein auf die oberste Leitersprosse
schwang und hinunterstieg. Jetzt begannen ihr
die Knie zu zittern. Der Mann ging durch die
Scheune, zum Scheunenpörtchen. Da blieb er
stehen. L T nd jetzt kletterte auch Traud herab.
Sie öffnete die Futtertüren. Der Mann hatte
schon die Gabel gefasst. « Ich darf Euch doch
ein bisschen helfen? », murmelte er, und Traud
sagte nicht ja noch nein. Sie sah, dass er nicht
ungeschickt war in der Arbeit. Von der Seite
glich er ein wenig Bab. Auch sonst war etwas
an ihm, was ihr gefiel, und sie fasste Ver
trauen. Er hatte noch seinen Rucksack auf der
Schulter. Den nahm er jetzt herunter, und er
fuhr fort, den Kühen Heu vorzugabeln. In
dessen ging Traud in die Küche, nahm den
Melkeimer, ging in den Stall, setzte sich mit
ihrem Streichstuhl unter die Fahl und melkte.
Der Mann kam nach einer Weile in die Stall
türe und sah ihr zu.
« Ihr mistet morgens aus? », fragte er.
«Ja », sagte sie nur.
Später fing der Mann an, von seinen Ver
hältnissen zu erzählen. Er sei Maurer und auf
der Wanderschaft. Im Winter gäbe es nichts
auf seinem Handwerk, wie sie wisse, zu tun.
Dann mache er sich sonstwo ■ nützlich. Als
Ferkelstecher, beim Schlachten, überhaupt in
allem. Er verstehe sich auf allerlei Arbeiten.
Seine Mutter lebe noch. Zu elft hätten sie am
Tisch gesessen, aber alle rechtschaffene und
fleissige Leute, bis auf einen.
«Na », meinte er, «es kann jeder mal da
neben treten und auf die schiefe Bahn kommen.
Wenn man sich nur wieder hochschafft! »
So sagte er.
Und Traud hörte ihm andächtig zu. Eine
Mannsstimme... so ein Mannsgespräch, eigent
lich war sie das garnicht mehr so recht gewöhnt.
Einmal begegneten sich ihre Blicke. Es gehe