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neigt (Abb. 6). Bekannte und berühmte Funde
von Skeletten oder Skeletteilen des Neander
talers sind: der Fund vom Neandertal selbst,
heute im Museum in Bonn. Er wurde 1B56 in
einer Höhle im Neandertal bei Düsseldorf
entdeckt. Wir benennen nach ihm die ganze
Rasse. Aus Deutschland sind die Funde von
Ehringsdorf bei Weimar zu erwähnen. In
Frankreich wurden 1908 und 1909 die be
rühmten Funde von Le Moustier, Chapelie
aux Saints und La Ferrassie gemacht. Aus
Belgien ist der Fund von Spy bekannt. Wei-
Abb. 6 Skelett des Neandertalers von La-Chapelle-
aux'Saints und eines Australiers rechts
(nach Klaatsch, Werdegang der Menschheit).
tere Funde des Neandertalers kennen wir
aus Krapina in Kroatien und von Podkumok
im Kaukasus. Die meisten urmenschlichen
Reste stammen von europäischem Boden. Das
erklärt sich wohl daraus, daß der europäische
Boden am besten durchforscht ist. Aber auch
in Vorderasien, Nordafrika, Südafrika und
Java fand man Reste des Neandertalers. Im
ganzen sind von ihm bis heute wenigstens
68 Individuen bekannt geworden, zumeist in
Skelettresten, die alle zusammengenommen
eine völlige Übereinstimmung der rassischen
Eigenart des homo primigenius ergeben.
Dieser homo primigenius oder Urmensch
lebte vor rund 100 000 Jahren. Wir sprachen
aber weiter oben davon, daß ihm ältere Vor
fahren vorausgingen. Die Frage liegt auf der
Hand: wie sahen diese älteren Menschen aus,
wo fristeten sie ihr Dasein, seit wann gibt
es überhaupt Menschen und woher kommt
der Mensch? Stammt er vom Affen ab? Eine
Frage, die schon so oft von Leuten gestellt
wurde, die darüber keine klare Vorstellung
haben. Solche Fragen müssen uns doch bren
nend interessieren.
Obwohl wir aus diesen älteren Tagen der
Menschwerdung nur dürftiges Material an
Beobachtungen und Entdeckungen besitzen,
hat die Naturgeschichte des Menschen auf
Grund einer Anzahl neuerer Funde entschei
dende Fortschritte gemacht. Wir müssen uns
aber die Frage, ob der Mensch vom Affen
abstamme, jetzt endlich ganz abgewohnen,
denn er stammt nicht vom Affen ab. Er
geht allenfalls auf einen mit den Anthropoi
den (Menschenaffen) gemeinsamen Vorfahren
zurück. Weder Darwin noch Haeckei, weder
Kölsche noch Klaatsch und andere ernste
Männer der Wissenschaft, die sich mit diesen
Fragen beschäftigten, haben jemals behaup
tet, daß der Mensch vom Affen abstamme.
Im Gegenteil! Die Stammbäume der Men
schenaffen gehen alle auf Vorfahren zurück,
die zwar Tiere waren, aber Tiere, die men
schenähnlicher gewesen sind als die heutigen
Menschenaffen, Im Laufe der Entwicklung
entfernten sie sich immer mehr vom Haupt
stamm, sie spezialisierten sich und wurden zu
dem, was wir heute unter Menschenaffen ver
stehen. Und doch haben sie, besonders der
Schimpanse, so viel Gemeinsames an körper
lichen und geistigen Eigenschaften mit dem
Menschen, daß wir nur darüber staunen müs
sen. Wir wollen im Rahmen dieser Betrach
tung nicht auf Einzelheiten eingehen, sondern
nur das hervorheben, was uns wesentlich er
scheint. Wer in die Naturgeschichte des Men
schen tiefer eindringen will, muß die Werke
der oben angeführten Autoren Darwin, Haeckei
usw. selbst lesen, besonders auch die neuesten
Werke von Hans Weinert, Wilhelm Volz und
anderen. Was Darwin und Haeckei nur ahnen
oder auf Grund der damals bekannten Funde
kombinieren konnten, das ist den neuesten
Forschern dank der epochemachenden Men
schenfunde der letzten 18 Jahre zur Gewiß
heit geworden. Das fehlende Glied in der
Entwicklung zwischen Tier und Mensch ist
gefunden. Wir können heute in der Mensch
heitsgeschichte wenigstens um zwei gewaltige
Stufen zurückgehen, und es stehen uns ge
nügend Beweisstücke zur Verfügung.
Ich erwähnte oben schon den Urmenschen
von Steinheim an der Murr in Württemberg.
Man fand 1933 in den K esschichten derMu r,
eines Nebenflusses des Neckars, den wohl er
haltenen Schädel einer Frau. Der Fund ist
geologisch gut datiert. Andere Funde, etwa
ein Schädelstück von Swanscombe an drr
Themse in England lassen wir hier außer Be
tracht, da sie noch umstritten sind. Dieser
homo Steinheimensis ist älter als der homo
neandertalensis. Wir nennen ihn Vor-Neander-