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Von Claus Schmauch, Saarbrücken.
Wie ein zottiger, hagerer Wolf erhob sich
Theiß Hartberger von seinem Lager, kroch
auf allen Vieren ins Freie und lauschte.
Doch rundum sangen nur die Schwarz
drosseln, und selbst die Häher, die noch
gestern so unruhig waren, meldeten sich
nicht. Sie strichen verstohlen durchs Hasel
holz und plünderten die reifen Nüsse.
Und noch etwas war draußen, was Theiß
Hartberger verwirrte. Es roch nicht mehr
nach Rauch und Brand. Doch bevor er ver
schwand, warf er die Armbrust über die
Achsel und tastete nach dem rostigen Kroaten
dolch an seiner Hüfte.
Fast lautlos trabte er durch den taunassen
Wald. Als er sich einer Lichtung näherte,
wurde er zu einem schleichenden, von Baum
zu Baum huschenden Schatten, und am Wald
rand duckte er sich hinter eine Schlehen
hecke, die ihn vollständig verhüllte.
„Wartet, ihr Hunde!“ Aus den Augen des
Bauern, die bis jetzt wie zwei gefrorene Seen
im braunroten Bartgewirr lagen, schlug ein
funkelnder Haß, und seine breiten Zähne
drohten wie Eberhauer. Zweimal schwirrte
ein Bolzen nach einem nahen Feuer und warf
jedesmal einen zerlumpten Söldner auf den
Rücken. Nach dem letzten Schuß aber schni t
ein Jammerlaut durch den Wald, der Theiß
Hartberger das Blut in die Augen peitschte
und so lähmte, daß er vergaß, den dritten
niederzuwerfen, der einer nahen Mulde zu
stürmte und rannte, als sitze ihm der Leib
haftige im Nacken.
,3ei Christi Blut, was war das?“ Erschrocken
sprang der Freibeuter aus der Hecke, sank
*3
vor einem wimmernden Milchbart in die
Knie und starrte in ein bleiches Gesicht
und in zwei braune, flehend auf ihn gerichtete
Augen. Und merkwürdig, je länger er diese
weichen, zuckenden Züge betrachtete, um so
heftiger fiel die Vergangenheit über ihn her.
„Margret!“ Der Ru| klang, als stiege er aus
einem tiefen, verschütteten Schacht, und in
der Kehle des Bauern war ein Rasseln. Dann
warf er sich zu Boden und wälzte sich stöh
nend in den Nesseln und Disteln, die die
Heerstraßen umwucherten.
Als er sich blutend und zerschunden auf
raffte und wieder über den seltsamen Gesellen
beugte, erblickte er ein fremdes, unbekam es
Gesicht. Aber die Hände des Verwundeten
bedeckten jetzt eine blutende Frauenbrust
und trieben die letzten Zweifel aus Theiß
Hartbergers Hirn.
Eine Stunde später lag die ohnmächtige
Frau auf einem aus Lumpen und Laub ge
schichteten Lager, und der Bauer kniete neben
ihr und bestrich die Streifwunde mit warmem
Dachsfett, von dem er stets einen kleinen
Vorrat besaß.
*
Der Wald sauste und schüttelte seine nassen
Kronen, Regenschauer schossen schräg durch
wirres, unwegsames Gestrüpp und tromme.ten
auf frischgefallenes Laub. Zerrissene Wolken
fetzen fegten durch die Wipfel. Faule Äste
splitterten und trafen dumpf die Erde — und
noch immer saß der Hartberger am schwelen
den Feuer und rührte keinen Muskel.
Aber in seiner Brust war ein seltsames
Dröhnen. Immer heftiger stieß das Herz gegen
die steinharte Kruste, die dreißig wilde, er
barmungslose Kriegsjahre um es legten, und
wie sie endlich zerbrach, fiel der Hartberger
mit einem jähen Laut aufs Gesicht. So lag er
lange und merkte nicht, wie das Feuer nach
seinem Barte leckte und immer näher an
seine verkrampften Hände rückte.
Als aber der Morgen fahl und feucht durch
das gilbende Laubdach schielte, schüttelte der
Hartberger seine steifen, in bunten Sö.dner-
lumpen steckenden Glieder, und strich zu sei
ner aus verkohlten Balken und Brettern ge
fügten Hütte. Dort starrte er in das heiße
Gesicht des im Wundfieber liegenden Weibes
und verschwand.
Wie einer, der etwas sucht, was er schon
lange aufgegeben hat, trat er aus dem Walde,
sandte seine Blicke hinab in die Mu de, wo
einst das Dorf stand, und heftete sie dann auf
einen Hang jenseits des Tales.
Dort muß er sie finden!
Um seinen einstigen Hof, der längst in
Trümmer gefallen war, einen scheuen Bogen
schlagend, erreichte er eine Stelle, die mehr
einem Schindanger als einem Friedhof ähnelte.
Er wand sich durch Brombeerranken und
Hagedomgestrüpp, übergratschte ein paar ver
witterte, umgestürzte Steinkreuze und blieb
vor einem Hügel stehen, auf dem drei morsche*.