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Die Buchecker
Von Alfred PETTO Herrensohr,
E ines Tages im Spätsommer, als ein hef
tiger Sturm wehte, spürten die beiden, wie
ihr Häuslein zu wanken begann, und dann,
während sie durch die Luft flogen, gab es
einen leisen Knacks, das Licht stürzte über
die beiden, sie drückten sich fest aneinander.
Als sie dann wieder zur Besinnung kamen,
lagen sie auf der Erde unten, auf einem
großen Blatt, und sie standen gottlob noch
dicht nebeneinander in ihrem seidegefütter
ten Häuschen.
Was nun aus ihnen werde, das wußten sie
nicht. Die Sonne schien warm, es regnete
und stürmte, und während der Nächte warf
der wachsende Mond sein blasses Licht in
die Blätter. Aber sie sahen, daß sie nicht
allein waren.
„Was soll nun aus uns werden?“ fragten
sie die anderen.
Und es erwies sich, daß keiner etwas Ge
naues wußte. Der eine sagte, nichts werde
mit ihnen, sie müßten ganz einfach hier lie
gen bleiben und faulen. Ein anderer wollte
wissen, daß aus jedem ein neuer Baum
wüchse, ein Baum, so hoch und mächtig, wie
der war, der sie in die Welt geworfen hatte.
„Nein“, behauptete eine junge, pralle, sehr
hübsche Buchecker, „dafür haben wir hier
nicht zu liegen und zu warten, sondern es
ist etwas ganz anderes!“
„Und was ist das?* fragten sie neugierig.
„Ihr werdet es schon noch erleben“, sagte
die junge Hübsche und war ganz geschwollen
vor Geheimnis.
Aber es mußte, nach ihrer Miene zu schlie
ßen, etwas sehr Schönes sein, so daß sich
alle im Herzen freuten und nicht warten
konnten, bis das große Ereignis käme.
Und es kam auch. Eines Abends raschelte
es im Laub, und eine Spitzmaus packte die
Zwillingsschwester der Buckecker in dem
seidegefütterten Häuschen und trug sie fort.
Und dann raschelte es wieder, und die Spitz
maus trug eine andere fort.
„Ist es das?* fragten sie die junge Hübsche.
„O Gott nein!“ erwiderte sie und schüttelte
sich vor Abscheu. „Die wäre die letzte, von
der ich mich nehmen ließe!“
Die anderen sahen sie verwundert an. Soso,
meinten sie, dann sei es also wohl, daß man
weder faule, noch ein großer Baum werde,
sondern daß man genommen werde.
„Wer aber wird kommen und uns nehmen?“
Die junge Hübsche blickte schwärmerisch
ln die Höhe. „Er!“ sagte sie nur mit leiser,
vor Wonne vergehender Stimme.
Und es gingen nun ein paar Tage hin,
ohne daß Er kam und sie mitnahm. Der Wind
fegte das Laub von den Ästen, die Nächte
wurden kühler, und in einer Frostnacht ge
schah es, daß sich die tausend seidegefütter
ten Häuschen von den Zweigen lösten und
zur Erde regneten.
Die junge Hübsche lag noch immer prall
und glänzend vor Schönheit auf dem frischen
grünen Blatt einer Feigwurz. Sie wartete.
Aber die Zwillingsschwester war immer tie
fer ins Laub gefallen; es war so dunkel um
sie her, nur ein ganz dünner Lichtstrahl traf
sie noch. Sie war schon ganz grau geworden,
und widerliche Flecken verunzierten ihr Ge
sicht.
Aber sie war von einer unverwüstlichen
inneren Natur.
Sie sagte zu der eingebildeten Hübschen;
„Wenn Er kommt, so wird Er ganz gewiß
mich nehmen!“
Aber die Hübsche schwieg hochmütig.
Die Graue fuhr fort; „Ich weiß es» ganz
genau, daß Er mich nehmen wird!“
Dann kam Er. Es raschelte wieder im Laub,
aber diesmal ganz anders, als es bei der
Spitzmaus geraschelt hatte.
„Jetzt!“ flüsterte die Graue in ihrem feuch
ten Loch. „Oh, jetzt kommt Er und nimmt
mich!“
Aber die Hand, die da immer näher kam
und das dürre Laub fortscharrte, streckte
ihre Finger nach der jungen Hübschen aus,
die auf dem Blatt der Feigwurz lag, und
warf sie zu vielen anderen in ein k’eines
weißes Säckchen. Die Graue aber faßte er
nur an, sie bebte bis ins Herz und schloß die
Augen, doch dann fühlte sie, wie sie über
die Blätter flog. Als sie wieder zur Besinnung
kam, lag sie unter einer feuchten Erdkrume.
Da brach sie in bittere Tränen aus.
Hier aber blieb sie liegen. Der Winter ver
ging. Es wurde dunkler und dunkler um sie.
Aber einmal schlug sie die Augen auf, es
war so hell und licht über ihr, und als sie
an sich niederblickte, erkannte sie, daß sie
eine ganz andere geworden war, jung und
zart, viel hübscher als die eingebildete Buch
ecker.
„Oh“, flüsterte sie leise, „Ich werde ja ein
Baum!“