Full text: 1948 (0076)

11 Saarbrücker Bergmannskalender 
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Teil davon mit. Aber bis sie kommt! Ich will 
ihm solange den Haushalt führen. Doch kei 
ner leiht uns Geld, damit wir einen Herd, 
Geschirr, Tisch und Schrank und zwei Bet 
ten kaufen können. O, Herr Bergrat, es ist 
traurig! Alles wäre jetzt so einfach, wenn..“ 
„Ich weiß -4 , fuhr sie fort, „daß mein Vater 
kein Trunkenbold mehr ist. Ei^ sagte zu mir: 
Mactha, wenn wir die Wohnung eingerichtet 
haben, bleibst du bei mir. Du wirst sehen, 
ich gebe dir mein ganzes Geld; ich rühre kein 
Gias mehr an. Ich sagte: Das verlangt kein 
Mensch von dir; ein Mann, der arbeitet, soll 
ruhig hin und wieder sein Bier und seinen 
Schnaps haben. Nur nicht zuviel, das führt 
zum Ruin!“ 
Da lächelte der Bergrat zum ersten Mal in 
seinem strengen Gesicht. Sie redete ihm mit 
ihrem unschuldigen Geplapper das Herz aus 
dem Leibe. Er fragte, woher sie aber im 
Augenblick das Geld nehmen wolle. Ach, 
erwiderte sie, wenn ihr Vater erst einmal 
wieder arbeite, stelle sich das andere von 
selbst ein. 
„Ich werde schon Mittel und Wege fin 
den 4 , versicherte sie. 
Der Bergrat schmunzelte. Ihr Vater, sagte 
er, könne stolz auf sie sein, hoffentlich lohne 
er es ihr auch. 
„Wir wollen es dann einmal wieder mit 
ihm versuchen. Er soll sich morgen hier mel 
den. Du kannst jetzt nach Hause gehen.“ 
„Ach Gott, ich bin ja so froh . . . ich lege 
die Hand für ihn ins Feuer.“ 
Sie griff nach ihrem Täschchen, bedankte 
sich mit einer Vogelstimme so hell und ging. 
So wurde Karrenschmidt wieder angelegt. 
Und Martha zergrübelte sich den Kopf: 
woher das Geld nehmen? Was nützte ihr 
dieser Erfolg? Nicht in einem Jahr, ja nicht 
in drei Jahren würde sie von dem Schicht 
lohn soviel heraussparen. Und solange sie 
keinen Herd zum Kochen, kein Bett, keinen 
Tisch, kein Geschirr und nichts hatte . . . 
Es mußte ihr gelingen! Aber vorerst erblickte 
sie nirgendwo eine Möglichkeit. 
Als sie durch das Dorf ging, begegnete sie 
ihrem Onkel Ägidius, dem Bruder der Mut 
ter. Sie rief seinen Namen so laut über die 
Straße, daß die Leute aufmerkten, und eilte 
zu ihm hin. Doch Onkel Ägidius übersah ihre 
Hand, die sie ihm darbot; er verachtete den 
Vater, und er übertrug seine Abneigung auch 
auf sie. Was sie von ihm wolle, fragte er un 
gnädig. 
„Denk dir, ich war auf der Grube. Der 
Vater wird wieder angelegt.“ 
„Soso?“, bemerkte er ungläubig. 
„Ja, doch, Onkel Ägidius. Er hat es mir 
versprochen, der Bergrat selber.“ 
Er machte kleine Augen, und Martha setzte 
ihm auseinander, was sie auf dem Herzen 
hatte. Er hörte sie schweigend an. Das Herz 
klopfte ihr vor Angst, er könne jetzt ihre 
schönen Pläne mit einem schroffen Nein 
durchkreuzen. Sie lief neben ihm her. Sie 
haßte ihn plötzlich. Er ging in einen Laden, 
aber sie blieb draußen stehen und wartete 
geduldig. Kein Opfer war ihr zu schwer, 
wenn sie nur weiterkam, auch diesen Schritt 
noch, den härtesten vielleicht. Nach einiger 
Zeit trat Ägidius wieder auf die Straße, einen 
Zettel in der Hand. Er blieb vor der Türe 
stehen und las; er beachtete Martha mit kei 
nem Blick. Dann, endlich, steckte er den 
Zettel ein. 
„Du bist ja noch immer da!“, knurrte er. 
Sie bat und flehte: „Onkel Ägidius, wenD 
du mir nicht hilfst, dann hilft mir kein 
Mensch. Die Mutter hat immer gesagt: Kin 
der, ich wünschte euch nur, euer Vater wäre 
ein Mann wie mein Bruder Giddes, dann 
hätten wir ein schönes, sorgloses Leben. Ich 
beneide die Frau, die den einmal bekommt.“ 
„Dumme Gans!“, schalt er unwirsch. „RecT 
nicht so töricht! Wieviel brauchst du denn? 
Genügen dreißig Mark? na gut, ich gebe dir 
vierzig Mark. Ich will aber das Geld wieder 
haben, wenn dein Vater verdient. Ich brauche 
jetzt selber mein Geld, ich will bauen!“ 
Er griff in die Gesäßtasche, zog ein Mäpp 
chen heraus, das mit einem Schuhsenkel 
verschnürt war, und zählte Martha die 
Scheine in die Hand. „Zähl 5 es nach, es sind 
fünfzig Mark! 14 Er band den Schuhsenkel 
wieder um da9 Mäppchen und schob es in die 
Tasche. „Du bringst mir morgen den Schuld 
schein. Im übrigen gebe ich dir das Geld 
nur, damit ihr nicht der Gemeinde zur Last 
fallt und man sich schämen muß!“ 
Und Martha kaufte ein. Ja, da war sie nun 
ganz in ihrem Element. Fünfzig Mark . . . 
eine fast unerschöpfliche Menge Geldes. Doch 
was brauchte sie auch nicht alles! Ver 
schwenderisch durfte sie nicht damit um 
gehen! 
Sie kaufte sechs Tage lang; es war für sie 
eine Zeit höchster Anspannung; manchmal 
ging ihr alles im Kopf durcheinander. Sie 
machte Voranschläge, und wie stolz war sie 
dann, wenn sie wieder einmal etwas Gutes 
und Nützliches preiswert erstanden hatte! Von 
früh bis spät war sie auf den Beinen. Und 
wie verstand sie zu feilschen! Und wie be 
wegt konnte sie ihre Lage schildern! Zuletzt 
hatte sie doch das Notwendigste zusammen, 
ohne sich besonders viele Schulden aufge 
bürdet zu haben. 
Sie machten sich nun gemeinsam daran, 
die kleine, muffige Kellerwohnung einzurich 
ten. Martha schrubbte, putzte, fegte, nagelte 
und pinselte. Sie schnitt Papierbördchen für 
den Küchenschrank und nähte Vorhänge. Die 
Frauen in der Nachbarschaft kramten in 
ihren Stoffresten, oder sie gaben ihr Tassen, 
wenn auch ohne Henkel, gaben ihr Teller 
und Töpfe, einen Milchhafen, einen Eimer. 
„Was für ein gutes Kind habt Ihr da Kar 
renschmidt!“, sagten sie, „wenn Eure Frau 
jetzt noch ihren Dickkopf zeigt, gehörten ihr 
Schläge!“ 
O, Karrenschmidt wußte, was er an Martha 
hatte. Er verbreitete ihr Lob bei jedermann. 
„Meine Martha“, sagte er, oder: „Meine Toch 
ter Martha“. Und er behandelte sie wie ein 
Kleinod, und wenn sie einmal den Kopf hän 
gen ließ, so schloff er wie ein kranker Mann 
umher.
	        
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