11 Saarbrücker Bergmannskalender
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Teil davon mit. Aber bis sie kommt! Ich will
ihm solange den Haushalt führen. Doch kei
ner leiht uns Geld, damit wir einen Herd,
Geschirr, Tisch und Schrank und zwei Bet
ten kaufen können. O, Herr Bergrat, es ist
traurig! Alles wäre jetzt so einfach, wenn..“
„Ich weiß -4 , fuhr sie fort, „daß mein Vater
kein Trunkenbold mehr ist. Ei^ sagte zu mir:
Mactha, wenn wir die Wohnung eingerichtet
haben, bleibst du bei mir. Du wirst sehen,
ich gebe dir mein ganzes Geld; ich rühre kein
Gias mehr an. Ich sagte: Das verlangt kein
Mensch von dir; ein Mann, der arbeitet, soll
ruhig hin und wieder sein Bier und seinen
Schnaps haben. Nur nicht zuviel, das führt
zum Ruin!“
Da lächelte der Bergrat zum ersten Mal in
seinem strengen Gesicht. Sie redete ihm mit
ihrem unschuldigen Geplapper das Herz aus
dem Leibe. Er fragte, woher sie aber im
Augenblick das Geld nehmen wolle. Ach,
erwiderte sie, wenn ihr Vater erst einmal
wieder arbeite, stelle sich das andere von
selbst ein.
„Ich werde schon Mittel und Wege fin
den 4 , versicherte sie.
Der Bergrat schmunzelte. Ihr Vater, sagte
er, könne stolz auf sie sein, hoffentlich lohne
er es ihr auch.
„Wir wollen es dann einmal wieder mit
ihm versuchen. Er soll sich morgen hier mel
den. Du kannst jetzt nach Hause gehen.“
„Ach Gott, ich bin ja so froh . . . ich lege
die Hand für ihn ins Feuer.“
Sie griff nach ihrem Täschchen, bedankte
sich mit einer Vogelstimme so hell und ging.
So wurde Karrenschmidt wieder angelegt.
Und Martha zergrübelte sich den Kopf:
woher das Geld nehmen? Was nützte ihr
dieser Erfolg? Nicht in einem Jahr, ja nicht
in drei Jahren würde sie von dem Schicht
lohn soviel heraussparen. Und solange sie
keinen Herd zum Kochen, kein Bett, keinen
Tisch, kein Geschirr und nichts hatte . . .
Es mußte ihr gelingen! Aber vorerst erblickte
sie nirgendwo eine Möglichkeit.
Als sie durch das Dorf ging, begegnete sie
ihrem Onkel Ägidius, dem Bruder der Mut
ter. Sie rief seinen Namen so laut über die
Straße, daß die Leute aufmerkten, und eilte
zu ihm hin. Doch Onkel Ägidius übersah ihre
Hand, die sie ihm darbot; er verachtete den
Vater, und er übertrug seine Abneigung auch
auf sie. Was sie von ihm wolle, fragte er un
gnädig.
„Denk dir, ich war auf der Grube. Der
Vater wird wieder angelegt.“
„Soso?“, bemerkte er ungläubig.
„Ja, doch, Onkel Ägidius. Er hat es mir
versprochen, der Bergrat selber.“
Er machte kleine Augen, und Martha setzte
ihm auseinander, was sie auf dem Herzen
hatte. Er hörte sie schweigend an. Das Herz
klopfte ihr vor Angst, er könne jetzt ihre
schönen Pläne mit einem schroffen Nein
durchkreuzen. Sie lief neben ihm her. Sie
haßte ihn plötzlich. Er ging in einen Laden,
aber sie blieb draußen stehen und wartete
geduldig. Kein Opfer war ihr zu schwer,
wenn sie nur weiterkam, auch diesen Schritt
noch, den härtesten vielleicht. Nach einiger
Zeit trat Ägidius wieder auf die Straße, einen
Zettel in der Hand. Er blieb vor der Türe
stehen und las; er beachtete Martha mit kei
nem Blick. Dann, endlich, steckte er den
Zettel ein.
„Du bist ja noch immer da!“, knurrte er.
Sie bat und flehte: „Onkel Ägidius, wenD
du mir nicht hilfst, dann hilft mir kein
Mensch. Die Mutter hat immer gesagt: Kin
der, ich wünschte euch nur, euer Vater wäre
ein Mann wie mein Bruder Giddes, dann
hätten wir ein schönes, sorgloses Leben. Ich
beneide die Frau, die den einmal bekommt.“
„Dumme Gans!“, schalt er unwirsch. „RecT
nicht so töricht! Wieviel brauchst du denn?
Genügen dreißig Mark? na gut, ich gebe dir
vierzig Mark. Ich will aber das Geld wieder
haben, wenn dein Vater verdient. Ich brauche
jetzt selber mein Geld, ich will bauen!“
Er griff in die Gesäßtasche, zog ein Mäpp
chen heraus, das mit einem Schuhsenkel
verschnürt war, und zählte Martha die
Scheine in die Hand. „Zähl 5 es nach, es sind
fünfzig Mark! 14 Er band den Schuhsenkel
wieder um da9 Mäppchen und schob es in die
Tasche. „Du bringst mir morgen den Schuld
schein. Im übrigen gebe ich dir das Geld
nur, damit ihr nicht der Gemeinde zur Last
fallt und man sich schämen muß!“
Und Martha kaufte ein. Ja, da war sie nun
ganz in ihrem Element. Fünfzig Mark . . .
eine fast unerschöpfliche Menge Geldes. Doch
was brauchte sie auch nicht alles! Ver
schwenderisch durfte sie nicht damit um
gehen!
Sie kaufte sechs Tage lang; es war für sie
eine Zeit höchster Anspannung; manchmal
ging ihr alles im Kopf durcheinander. Sie
machte Voranschläge, und wie stolz war sie
dann, wenn sie wieder einmal etwas Gutes
und Nützliches preiswert erstanden hatte! Von
früh bis spät war sie auf den Beinen. Und
wie verstand sie zu feilschen! Und wie be
wegt konnte sie ihre Lage schildern! Zuletzt
hatte sie doch das Notwendigste zusammen,
ohne sich besonders viele Schulden aufge
bürdet zu haben.
Sie machten sich nun gemeinsam daran,
die kleine, muffige Kellerwohnung einzurich
ten. Martha schrubbte, putzte, fegte, nagelte
und pinselte. Sie schnitt Papierbördchen für
den Küchenschrank und nähte Vorhänge. Die
Frauen in der Nachbarschaft kramten in
ihren Stoffresten, oder sie gaben ihr Tassen,
wenn auch ohne Henkel, gaben ihr Teller
und Töpfe, einen Milchhafen, einen Eimer.
„Was für ein gutes Kind habt Ihr da Kar
renschmidt!“, sagten sie, „wenn Eure Frau
jetzt noch ihren Dickkopf zeigt, gehörten ihr
Schläge!“
O, Karrenschmidt wußte, was er an Martha
hatte. Er verbreitete ihr Lob bei jedermann.
„Meine Martha“, sagte er, oder: „Meine Toch
ter Martha“. Und er behandelte sie wie ein
Kleinod, und wenn sie einmal den Kopf hän
gen ließ, so schloff er wie ein kranker Mann
umher.