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Daumier hat seine Eingebung fast aus
schließlich in der Stadt gesucht, Millet da
gegen vor allem auf dem Lande. Dieser
entstammte einer ganz bescheidenen Familie
und hatte nur eine geringe Zahl von
Büchern, besonders die Bibel, gelesen. Ihn er
füllte die Liebe zu seinen Mitmenschen und
besonders zu den Bauern. Um 1848 ließ er
sich auf dem Lande nieder und malte- trotz
der Verständnislosigkeit der Öffentlichkeit
nur Bilder aus dem bäuerlichen Leben. Diese
Liebe zu den Bauern mag wohl manchmal
etwas übertrieben ausgedrückt sein. Dieser
Fehler ist jedoch durch einen auf Genauig
keit sehr bedachten Realismus (es ist das
erste Mal, daß man Bauern bei ihrer Arbeit
darstellte,) und durch die nur seltene Gabe
plastischer Darstellung aufgewogen. Bild 9
gibt ein Bild Millets wieder mit dem Titel:
,.Der Ho’.zhacker“, das besonders charakteri
stisch ist. Die bäuerlichen Gestalten Millets
haben einfache, aber würdevolle Formen und
lassen die Schönheit, die den Bewegungen der
körperlich arbeitenden Personen innewohnt,
klar hervortreten.
Der berühmteste der realistischen Maler
war unbestreitbar C O U R B E T. Seinen
Zeitgenossen erschien er als derjenige, der
die Anregung zu dieser Richtung gab; denn
in seiner Engstirnigkeit nannte er sich selbst
vor aller Öffentlichkeit aufdringlich und
hartnäckig einen Realisten. Aber diesem
kämpferischen Temperament genügte es
nicht, als Künstler zu versuchen, seine Geg
ner mit innerem Behagen zu ärgern; zum
Überfluß konnte er es nicht unterlassen, sei
ner Zeit vorauseilende politische Ansichten
zur Schau zu tragen. Als Opfer seines hit
zigen Charakters nahm er nach dem Krieg
von 1870 an der revolutionären Bewegung
der Pariser Commune teil. Als der Aufstand
niedergeschlagen war, wurde er mit einer
schweren Geldstrafe belegt und des Landes
verwiesen. Er starb in der Schweiz, ohne
sein Vaterland wiedergesehen zu haben.
Wollte man Courbet Glauben schenken, so
wären seine künstlerischen Schöpfungen nur
der Widerschein seiner politischen und sozia
len Anschauungen. Aber in dieser Behaup
tung steckte mehr Ruhmrederei als Wahr
heit- Trotz des unbestreitbaren Realismus
und des prosaischen (alltäglichen) Charakters
der von ihm behandelten Stoffe ist Courbet
ein durchaus ehrfurchtsvoller Schüler der
Meister der Vergangenheit. Seine gelehrte
Technik hat nichts Revolutionäres. Eifrig hat
er die großen Schöpfungen der vorange
gangenen Jahrhunderte studiert, besonders
die Rembrandts. Der Sozialist in ihm hat
den Maler nur hinsichtlich der Wahl seiner
Stoffe beeinflußt, bei denen Courbet mit
Vorliebe die Ärmsten seiner Zeitgenossen
dargestellt hat. ..Das Begräbnis zu Omans“
(Bild 10), (Courbet war in diesem Städtchen
der Franche-Comte geboren) ist ein Jugend
werk. Der ganze. Courbet steckt in diesem
Bilde. Es ist schwer, den Realismus noch
weiter zu treiben. Man gewinnt den Ein
druck, als ob die Vorgänge sich wirklich so
zugetragen haben müssen und man kein Ge
mälde, sondern eine Fotografie vor sich habe.
Diese so moderne Seite an dem Werke Cour-
bets hatte, was merkwürdig ist, den Fremden
mehr als seine eigenen Landsleute bestochen.
Der französische Maler hatte zwei Jahre lang
(1859—1860) in München geweilt, war damals
mit den deutschen Künstlern in Berührung
gekommen und hatte sie durch die Sicher
heit seiner Malkunst in Erstaunen versetzt.
Menzel und Leibi unter anderen hatten für
ihn Begeisterung empfunden und wurden
seine besten Schüler, vor allem Leibi, der
häufig die bayrischen Bauern zu Modellen ge
wählt und vortreffliche realistische Bilder in
der Art Courbets gemalt hat.
Während ganz Europa sich dem Realismus
zuwandte, unternahmen die französischen
Maler Versuche nach einer anderen Rich
tung, die zu einer neuen, der impressioni
stischen Schule führen sollte. Bevor wir je
doch den neuen französischen Beitrag zu der
Kunst insgesamt näher beschreiben wollen,
müssen wir ein Wort über einen großen Ma
ler sagen, dem man nicht irgendeine Be
zeichnung, weder die des Realisten, noch die
des Impressionisten anheften kann, MANET
(1832—1883). Es ist kaum treffend zu behaup
ten, er bilde den Übergang zwischen diesen
beiden Schulen. Wir haben es hier mit einer
jener bedeutenden Persönlichkeiten zu tun.
die zu ihrer Entfaltung eine völlige Unab
hängigkeit für sich fordern. Er selber hat
behauptet, „man müsse seiner Zeit ange
hören und malen, was man sehe“; aber die
Werke Manets stellen einen in die Augen
springenden Widerspruch zu diesem realisti
schen Glaubensbekenntnis dar, denn die be
sten sind nicht diejenigen, bei denen er sich
mit der getreuen Wiedergabe der Wirklich
keit begnügt, sondern diejenigen, wo seine
Einbildungskraft alle Hilfsmittel einer hoch-
entwickelten künstlerischen Kultur zur An-