6 Saarbrücker Bergmannskalender
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Infolge der oben näher beschriebenen und
angewandten Mittel, die schließlich zur Über
gabe der alten Burg im Jahre 1351 führten,
wurde die Belagerung von Montclair s. Zt. als
eine der bemerkenswertesten Kriegsopera
tionen im Mittelalter hingestellt.
Einsam und verlassen liegen heute die
Ruinen von Siersburg und Burg Montclair.
Dornröschenschlaf liegt über dem alten Ge
mäuer. In den nahen Baumkronen raunt es
von Ritterglanz und Burgherrlichkeit, dann
aber auch von Sturm- und Brandzeiten, die
diese zwei Felsennester umtobten und nur
zerfallenes Turm- und Mauerwerk übrig
ließen.
Hirtenbube, Papst und Zauberer
(Gerbert von Aurillac und die Abtei Mettlach)
Von Heinrich KUHN, Saarbrücken.
Eine alte Sage erzählt:
,,Einst hütete auf den stillen Bergweiden
der südfranzösischen Auvergne ein Hirten
bube die Herden seines Dorfes. Vorbei
ziehende Mönche sahen, wie er durch eine
leere Holunderröhre den Himmel beobachtete.
Seine klugen Antworten veranlaßten die
Klosterleute, den Knaben in die nahe Abtei
Aurillac zu führen. Auffallende Leistungen
zeichneten ihn bald vor seinen Mitschülern
aus. Wissensdrang und Ehrgeiz aber verleite
ten den jungen Novizen, mit dem Teufel
einen Pakt zu schließen. Der verspricht ihm
Gelehrsamkeit, Ruhm und Ehre. Er führt
ihn sogar nach Spanien, zu den ungläubigen
Mauren, wo er auf den arabischen Univer
sitäten von Sevilla und Cordoba die schwarze
Kunst und das weltliche Wissen erlernt. Auf
den Flügeln des Teufels fliegt er mit geraub
ten Büchern über die Pyrenäen in die christ
liche Welt zurück. Er erregt allgemeine Be
wunderung, wird Bischof und schließlich so
gar — mit Hilfe der Dämonen — Papst! Und
da der Böse ihm versprochen hatte, er werde
nicht eher sterben, als bis er in Jerusalem
die Messe gelesen habe, fühlt er sich auf
dem höchsten Stuhle der Christenheit sicher.
Aber er hatte nicht an die römische Jerusa
lem-Kirche gedacht. Wie er einmal zum
Osterfeste dort amtiert, tritt plötzlich der
Teufel vor ihn und fordert hohnlachend seine
Seele. Verzweifelnd bekennt der Schuldige
vor aller Öffentlichkeit sein Vergehen. Zur
Sühne läßt er sich Hand und Zunge ab
schneiden, um durch einen schmerzlichen
Tod den Frevel zu büßen. Seitdem pflegt
jedesmal das Rasseln seiner Gebeine im
Grabe den bevorstehenden Tod eines Papstes
anzuzeigen
Der Held dieser grausigen Sage ist kein
Geringerer als Gerbert von Aurillac,
Erzbischof von Reims und Ravenna, schließ
lich, unter dem Namen Sylvester II.,
erster französischer Papst. Und dieser
Mönch Gerbert, der gelehrteste Mann seiner
Zeit, soll nach einer alten Tradition Scholas-
ticus, also Leiter der Klosterschule in unserer
einstigen saarländischen Benediktiner-Abtei
Mettlach gewesen sein.
Noch heute spiegelt sich an der landschaft
lich schönsten Stelle unserer Saarheimat die
rote Prachtfassade des barocken Kloster
palastes im rauschenden Flusse. Hart da
neben erheben sich die grauen Mauern de9
„Alten Turmes“, jener ehrwürdig-seltenen
Rundkirche, Einmal, in ihrer langen und be
wegten Geschichte, trat auch diese Abtei aus
dem klösterlichen Alltag heraus ins helle
Rampenlicht der Berühmtheit. Es war im
10. Jahrhundert, eben in der Zeit jenes
Mönches Gerbert. Zuerst waren die Trierer
Erzbischöfe gleichzeitig auch Äbte von Mett
lach, bis schließlich im Jahre 941 die Lut-
winus-Stiftung ihren ersten selbständigen
Abt Rat wich erhielt. Die Epoche, die unter
Ratwich beginnt, kirchlich aufs stärkste be
einflußt durch die von der Abtei Gorze bei
Metz ausgehende lothringische Reformbewe
gung, ist die Blütezeit des Klosters Mettlach,
die steht und fällt mit dem 100 Jahre dauern
den Ansehen seiner berühmten Schule, die
durch die Verknüpfung mit dem Namen
Gerbert-Sylvester ihr besonderes Gepräge
erhielt.
Über den historischen Gerbert wissen wir,
daß er vor etwa 1000 Jahren, zwischen 940
und 945, als armer Leute Kind geboren
wurde. Als solches hütete er zuerst das Vieh
auf dem saftigen Graspolster der auverg-
natischen Vulkanberge, der Heimat des gal
lischen Nationalhelden Vercingetorix. Seine
erste Erziehung erhielt er in Aurillac.
Später weilte der junge Mönch einige Jahre
in Spanien. Hier legte er den Grund zu seiner
umfassenden Gelehrsamkeit, die ihn im
Mittelalter als „Weltwunder — mirabilia
mundi —“ erscheinen ließ. Die maurischen
Araber waren damals die besten Kenner
der Mathematik und Naturwissenschaften,
Gebiete, die dem naiv staunenden Mittel-
alter stets unheimlich vorkamen.