Full text: 1947 (0075)

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licher Menschen eignet. Es zog seine Blicke 
immer wieder zu diesen Augen und zu diesen 
Lippen hin, und wenn ihm selber auch keins 
der wenigen Worte galt, die das Mädchen 
in ihrer singenden, schleifenden Mundart 
sprach, so nahm er sie doch in sich auf, wie 
alles an ihr, als wolle er es sich zu eigen 
machen. Und einmal lächelte sie ihn an, als 
man die Gläser erhob und von dem Weine 
trank. 
Gegen Abend, als er wegen des weiten 
Heimwegs mit dem Bruder früher aufbrach 
als die übrigen Gäste, reichte er ihr die 
Hand. Sie erhob sich ein wenig vom Stuhl, 
und Martin sah, wie sie errötete. 
Unterwegs stapfte er schweigend und in 
einem seligen Gefühl neben dem Bruder her, 
der aus seiner Pfeife paffte und die erhebende 
Feier schon vergessen hatte, da er mit Martin 
besprach, was sie in den beiden letzten 
Tagen, die Martin noch im Hause war, zu er 
ledigen hätten. 
„Morgen heißt es zeitig aus den Federn!“, 
sagte der Bruder. „Ich denke, daß wir das 
Korn auf dem Ritscheweg und vom Bengel 
berg noch einfahren. Auch die Gerste liegt 
noch draußen, und der Weizen muß auch 
noch abgemacht werden.“ 
Aber Martin hörte es nur mit halbem Ohr. 
Er dachte an das Mädchen. 
An den beiden letzten Tagen half Martin 
bis zur letzten Stunde. Und Mittwochs in der 
Frühe nahm er Abschied. Die Schwägerin 
steckte ihm noch etwas Reisezehr ein, in 
dessen kam der Bruder aus dem Stall. Martin 
gab ihnen die Hand. 
„Ja“, sagten sie, „dann halte dich gesund, 
und laß dich einmal sehen, du gehst ja nicht 
außer der Welt.“ 
Die nächsten Jahre waren die härtesten, 
die Martin jemals erlebt hatte, ob zuvor oder 
später; denn zu der mühseligen und für einen 
Menschen, der bis da in der Freiheit und 
Helligkeit der Erde über Tag gelebt und ge 
arbeitet hatte, doppelt harten Arbeit kam oft 
das Verlangen nach der Heimeligkeit des 
Dorfes und der heimatlichen Welt. Aber er 
sagte sich, daß es wohl keinen Sinn habe, 
eine andere Arbeit zu suchen, eine Arbeit zu 
Hause, da er sich vor dem Bruder nun ein 
mal für die Grubenarbeit entschieden hatte 
und nicht als Schwächling erscheinen wollte. 
Und mit der Zeit würde er sich auch an die 
Art der Menschen hier, an die Wohnweise 
und an das Land gewöhnen, das ja auch 
seine Schönheiten und Freuden hatte. Das 
erste Jahr über hatte er im Schlafhaus ge 
wohnt, aber er war nicht, wie die anderen 
Schlafhausleute, über Sonntag nach Hause 
gefahren, sondern stets im Ort geblieben. Er 
hatte sich ein Waldhorn gekauft, auf dem 
probte und blies er in seinen Mußestunden, 
spielte danach auch einige Monate in der 
Grubenkapelle mit, aber dann gab er das 
Musizieren auf. pachtete sich ein Stück Land, 
das er umgrub und als Garten anlegte. Das 
gefiel ihm, und hier, in einer kleinen Laube, 
die er sich gebaut hatte, saß er des Sonntags 
in den Hemdsärmeln, oder er wandelte auf 
den Pfädchen einher, bückte sich hier, bückte 
sich dort; ein jeder, der des Wegs vorüoer 
ging, konnte sehen, woran das Herz dieses 
sonderlichen Mannes hing. 
Mit den Jahren verlor sich auch das Breite 
und Kehlige in der Sprache, die er aus seiner 
Heimat mit hierher gebracht hatte. 
Aber das Mädchen vergaß er nie. 
Einmal überfiel ihn das Heimweh nach ihr 
so stark, daß er einige 'Sonntage hinter 
einander mit den anderen Hochwäldern 
heimfuhr, in der heimlich genährten Hoff 
nung, dem Mädchen irgendwo dort in den 
Dörfern, durch die er kam, zu begegnen. Er 
hielt sich nur des nachts bei dem Bruder auf, 
brachte den Kindern jedesmal ein paar Ge 
schenke mit, um dem Bruder und der hab 
gierigen Schwägerin nicht lästig zu fallen, 
und beim ersten Sonnenstrahl machte er sich 
auf und wanderte in die Nachbardörfer, am 
liebsten in das Dorf, in dem er damals das 
Mädchen gesehen hatte. 
Einmal suchte er eine Wirtschaft auf, in 
der Absicht, ohne lange Umschweife zu 
fragen, ob das Mädchen noch im Dorf sei, 
was es tue, und so fort. Aber er brachte dann 
die Worte doch nicht über die Lippen; das 
Bild dieses Mädchens war ihm etwas so Un 
antastbares und Heiliges, daß es ihm wie eine 
Preisgabe seiner tiefsten und innersten Ge 
fühle vorgekommen wäre, hätte er auch nur 
das geringste Wort darüber zu einem anderen 
gesprochen. Dann hätte, wie er dunkel fühlte, 
das schöne und keusche Bild, das er in seinem 
Herzen trug, ihm nicht mehr allein gehört. 
Und er wollte, daß es keinem anderen ge 
höre. 
Im Frühjahr kaufte er das Stückchen 
Garten, das er bis da gepachtet hatte, und 
vergrößerte es durch Hinzukauf eines halben 
Morgens, der nebenan lag. Nun hatte er 
Arbeit und Befriedigung genug für seine 
freien Stunden. Er umfriedete das ganze mit 
einem hübschen Holzzaun, den er grün an
	        
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