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licher Menschen eignet. Es zog seine Blicke
immer wieder zu diesen Augen und zu diesen
Lippen hin, und wenn ihm selber auch keins
der wenigen Worte galt, die das Mädchen
in ihrer singenden, schleifenden Mundart
sprach, so nahm er sie doch in sich auf, wie
alles an ihr, als wolle er es sich zu eigen
machen. Und einmal lächelte sie ihn an, als
man die Gläser erhob und von dem Weine
trank.
Gegen Abend, als er wegen des weiten
Heimwegs mit dem Bruder früher aufbrach
als die übrigen Gäste, reichte er ihr die
Hand. Sie erhob sich ein wenig vom Stuhl,
und Martin sah, wie sie errötete.
Unterwegs stapfte er schweigend und in
einem seligen Gefühl neben dem Bruder her,
der aus seiner Pfeife paffte und die erhebende
Feier schon vergessen hatte, da er mit Martin
besprach, was sie in den beiden letzten
Tagen, die Martin noch im Hause war, zu er
ledigen hätten.
„Morgen heißt es zeitig aus den Federn!“,
sagte der Bruder. „Ich denke, daß wir das
Korn auf dem Ritscheweg und vom Bengel
berg noch einfahren. Auch die Gerste liegt
noch draußen, und der Weizen muß auch
noch abgemacht werden.“
Aber Martin hörte es nur mit halbem Ohr.
Er dachte an das Mädchen.
An den beiden letzten Tagen half Martin
bis zur letzten Stunde. Und Mittwochs in der
Frühe nahm er Abschied. Die Schwägerin
steckte ihm noch etwas Reisezehr ein, in
dessen kam der Bruder aus dem Stall. Martin
gab ihnen die Hand.
„Ja“, sagten sie, „dann halte dich gesund,
und laß dich einmal sehen, du gehst ja nicht
außer der Welt.“
Die nächsten Jahre waren die härtesten,
die Martin jemals erlebt hatte, ob zuvor oder
später; denn zu der mühseligen und für einen
Menschen, der bis da in der Freiheit und
Helligkeit der Erde über Tag gelebt und ge
arbeitet hatte, doppelt harten Arbeit kam oft
das Verlangen nach der Heimeligkeit des
Dorfes und der heimatlichen Welt. Aber er
sagte sich, daß es wohl keinen Sinn habe,
eine andere Arbeit zu suchen, eine Arbeit zu
Hause, da er sich vor dem Bruder nun ein
mal für die Grubenarbeit entschieden hatte
und nicht als Schwächling erscheinen wollte.
Und mit der Zeit würde er sich auch an die
Art der Menschen hier, an die Wohnweise
und an das Land gewöhnen, das ja auch
seine Schönheiten und Freuden hatte. Das
erste Jahr über hatte er im Schlafhaus ge
wohnt, aber er war nicht, wie die anderen
Schlafhausleute, über Sonntag nach Hause
gefahren, sondern stets im Ort geblieben. Er
hatte sich ein Waldhorn gekauft, auf dem
probte und blies er in seinen Mußestunden,
spielte danach auch einige Monate in der
Grubenkapelle mit, aber dann gab er das
Musizieren auf. pachtete sich ein Stück Land,
das er umgrub und als Garten anlegte. Das
gefiel ihm, und hier, in einer kleinen Laube,
die er sich gebaut hatte, saß er des Sonntags
in den Hemdsärmeln, oder er wandelte auf
den Pfädchen einher, bückte sich hier, bückte
sich dort; ein jeder, der des Wegs vorüoer
ging, konnte sehen, woran das Herz dieses
sonderlichen Mannes hing.
Mit den Jahren verlor sich auch das Breite
und Kehlige in der Sprache, die er aus seiner
Heimat mit hierher gebracht hatte.
Aber das Mädchen vergaß er nie.
Einmal überfiel ihn das Heimweh nach ihr
so stark, daß er einige 'Sonntage hinter
einander mit den anderen Hochwäldern
heimfuhr, in der heimlich genährten Hoff
nung, dem Mädchen irgendwo dort in den
Dörfern, durch die er kam, zu begegnen. Er
hielt sich nur des nachts bei dem Bruder auf,
brachte den Kindern jedesmal ein paar Ge
schenke mit, um dem Bruder und der hab
gierigen Schwägerin nicht lästig zu fallen,
und beim ersten Sonnenstrahl machte er sich
auf und wanderte in die Nachbardörfer, am
liebsten in das Dorf, in dem er damals das
Mädchen gesehen hatte.
Einmal suchte er eine Wirtschaft auf, in
der Absicht, ohne lange Umschweife zu
fragen, ob das Mädchen noch im Dorf sei,
was es tue, und so fort. Aber er brachte dann
die Worte doch nicht über die Lippen; das
Bild dieses Mädchens war ihm etwas so Un
antastbares und Heiliges, daß es ihm wie eine
Preisgabe seiner tiefsten und innersten Ge
fühle vorgekommen wäre, hätte er auch nur
das geringste Wort darüber zu einem anderen
gesprochen. Dann hätte, wie er dunkel fühlte,
das schöne und keusche Bild, das er in seinem
Herzen trug, ihm nicht mehr allein gehört.
Und er wollte, daß es keinem anderen ge
höre.
Im Frühjahr kaufte er das Stückchen
Garten, das er bis da gepachtet hatte, und
vergrößerte es durch Hinzukauf eines halben
Morgens, der nebenan lag. Nun hatte er
Arbeit und Befriedigung genug für seine
freien Stunden. Er umfriedete das ganze mit
einem hübschen Holzzaun, den er grün an